Heft 
(1889) 50
Seite
798
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Deutschland.

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aller Blicke auf sich zu leuken. Als sie mich Berlin kam, war das jugendfrische Geschöpf nach einigen Abenteuern bald von der einfachen Ladenmamsell zu dem beliebtesten Loreley-Modell des Westens avanciert und auch Franz nicht fremd geblieben. Mit dem Chic einer Weltdame entledigte sich Mieze ihrer gestehen wir's zu kleinen Handschuhe, legte sie neben sich auf die Marmorplatte, siel über das Frühstück her und stellte an den unfreiwilligen Gastgeber eine Reihe von Fragen, deren Beantwortung sie ihm großmütig erließ, da sie eifrig ihre Um­gebung mit ihren blauen Augen musterte. Franzens Unruhe stieg. Er war zu wohl erzogen, als daß er sich am Hellen Mittag in der Gesellschaft dieserCousine" Hütte wohl fühlen können, und er hielt etwas auf seinen guten Ruf. Wie leicht konnten ihn hier befreundete Familien in dieser Gesellschaft sehen. Da steuerte schon die Rätin Burkow über den Straßen­damm und zum Glück fuhr auch ein Möbelwagen vorbei, der das interessante Paar ihren erfahrenen Blicken entzog. Eine ganze Reihe tragischer Verwicklungen stieg vor der Seele des um sein Glück von den Umhersitzenden beneideten Malers auf. Wenn sie die Qual des Ärmsten in diesem Augenblick geahnt hatten! Wie gerne Hütte er mit ihnen getauscht. Diese Be­ängstigung ließ jedoch in Franz schnell den Diplomaten reifen.

Weißt Du, Mieze," begann er nach einer längeren Ver­legenheitspause, während welcher seine ahnungslose Partnerin noch einige belegte Brötchen und ein Glas Pilsener auf sein Konto gesetzt hatte,Du könntest mir einen großen Ge­fallen erweisen. Ich warte hier auf meinen Freund Heilmann, einen Kollegen, er wird Dich wohl auch zum Modell haben wollen, er ist ein feiner Mensch, Reserveoffizier, verstehst Du. Er scheint mich vergessen zu haben. Du kennst doch das Hotel in der Mittelstraße, wo ich im vorigen Jahre, während meines Atelierumzuges, gewohnt habe?"

Mieze kannte dies Hotel.

Dort also wohnt er. Würdest Du vielleicht hingehen und ihm sagen, daß ich hier auf ihn warte? Ihr könnt mich ja von hier abholen. Wenn ich von hier weggehe, könnten wir uns verfehlen. Willst Du?"

Die Loreley warf ihr langes Haar zurück, lächelte zu­stimmend und marschierte alsbald die Friedrichstrnße hinunter, einer neuen Eroberung gewiß. Franz, der Glückliche wider Willen, atmete auf und beobachtete wieder reinen Herzens den immer stärker anschwellenden Strom der Vorübergehenden. So hatte er eine halbe Stunde und noch eine halbe Stunde ge­sessen und gewartet, als es ihn nicht länger auf seinem Lauer­posten litt.Kellner, zahlen!"

Franz folgte errötend Miezes Spuren. Gewiß, dachte er unterwegs, hat Carl noch die Nachwehen des gestrigen ver­gnügten Abends zu bekämpfen. Der Portier des Hotels wies den Frager nach Zimmer Nummer 12.

Obwohl er mit der vorgefaßten Meinung gekommen war, den Freund in nicht normaler Verfassung vorzusinden, machte ihn doch die Klangfarbe der Worte stutzig, mit denen der Portier ihm den Aufenthaltsort des Gesuchten angab. Diese Haus­hüter haben ihre Eigenart. Selbst in der Weltstadt bleiben sie immer noch, wenn auch durch Trinkgelder gezähmte, Vet­tern des Pförtners vom Schloß Jnverneß. Sie poltern gern bei jedem Anlaß und verstehen es, in wenige Worte viel hinein­zulegen. Hell und freudig erklingt dasZimmer Nummer 12,"

sobald dessen Bewohner von zweifelloser Trinkgeldergüte sich erwiesen hat. Gleichgültig und träge schleicht dieselbe Mel­dung über die Lippen des Hausgottes, falls ein Knicker sein Vertrauen erschüttert hat. War nun auch Franz in der Ton­leiter dieser Empfindungen nicht bewandert, so schien ihm doch in diesemZimmer Nummer 12!" eine ganze Welt von Erdenelend verborgen zu sein. Die verletzte Ehre des Hauses, die von dem Portier seit Jahren gesühnt wurde, vibrierte iu dieser Stimme/ Dieselbe gekränkte Ehre leuchtete dem Besucher aus den Augen des Zimmermädchens entgegen, als sie ihn den Gang hinunterwies.

Es mußte sich etwas Schreckliches ereignet haben!

Die Thür ging auf, und Franz sah seinen Carl rastlos wie den Wolf im Zoologischen Garten seinen Käfig durch­messen, vom Fenster bis zum Ofen und vom Ofen bis zum Fenster ging der geräuschlose Marsch auf Filzschuhen. Heit­mann, scheinbar vor kurzem dem Bette entstiegen, war vom Gesellschaftsanzuge noch so weit entfernt, wie ein dem Ei eben entschlüpfter Kanarienvogel seinem vollen Federkleide.

Eine fabelhafte Geschichte," rief der Sansculotte,gut, daß Du kommst; der Gerichtsvollzieher hat mir alles ver­siegelt. Vor einer halben Stunde stehe ich mit etwas schwe­rem Kopfe auf und entdecke die Bescherung. Ich habe natür­lich sofort zu dem Kerl hingeschickt. Ich weiß nicht, was das bedeuten soll, ich bin niemand etwas schuldig. Der Kerl soll sich iu acht nehmen."

Aber so ziehe Dich doch erst an!" wendete Franz be­gütigend ein, indem er den seiner Rüstung beraubten, grollenden Peliden erstaunt und bestürzt zugleich austarrte. Aber da kam er schön an.

Anziehen! Was denn?" schnaubte der Maler iu der Pose des Fechters von Ravenna.Der Wirt ist verreist, nnd das Untier von Portier hat die Sachen in Verwahrung ge­nommen. Gestern habe ich den letzten Pfennig ausgegeben und kann die Rechnung nicht bezahlen; denn mein Chek liegt im Koffer. Der Koffer ist versiegelt, der Kleiderschrank ist ver­siegelt, die Kommode auch. Es ist ein Skandal, wo der Kerl nur bleibt! Als ich heute früh nach der Bedienung klingle, erzählt mir der Kellner, was gestern in meiner Abwesenheit ge­schehen ist. Ich traute meinen Augen nicht."

Carl stieß wütend mit dem Fuß an den Koffer, auf dessen Schloß der berühmte weiße Adler im blauen Felde prangte.

Aber warum in aller Welt?" fragte Franz.

Das frage ich auch."

Es muß doch ein Pfüudungsprotokvll vorhanden sein," meinte Franz, der sich aus den Anfängen seines Atelierlebens eine unbestimmte Erinnerung an solche Urkunden bewahrt hatte.

Pfändungsprotokoll! Das ist ja eben das Unglück! Das Zimmermädchen hat es heute früh dem Baron gezeigt, und der hat es an sich genommen."

Wer ist denn der Baron?" ^

Mein Zimmernachbar, ein ganz famoser Kerl! Als ich noch schlief, ist er nach München gefahren; er ließ mich noch grüßen, er mußte in Familienangelegenheiten verreisen. Gestern nacht hatten wir imRoten Meer" gründlich zusammen ge­kneipt. Es ist znm Verzweifeln, wo der Gerichtsvollzieher I nur bleibt!"