Albert Burkhardt (Berlin)
Mit Theodor Fontane unterwegs
Am Weihnachtsabend des Jahres 1948 lag auf meinem Gabentisch neben einigen anderen Büchern ein grüner Ganzleinenband. In güldener Zierschrift leuchtete der Titel auf dem Einband: „Grafschaft Ruppin". Darunter stand in Schwarz: „von Theodor Fontane". Silbern schimmerte ein See, am Horizont begrenzt von einem Höhenzug, und den Vordergrund nahm eine stattliche Kiefer ein, die mit ausladendem Wipfel alles überwölbte.
Viel später fand ich einmal Fontanes Äußerung zur Aufmachung dieser ab 1892 erschienenen „wohlfeilen Ausgabe" der „Wanderungen durch die Mark Brandenburg" in einem Brief an seinen Verleger Wilhelm Hertz: „Die Bande sehen sehr gut aus, und die Fichte mit Wasser und Berg macht sich vortrefflich." (Für den Märker wie für den Mecklenburger ist die Kiefer noch heute eine „Fichte" und die Fichte folgerichtig eine „Tanne", was nichts schadet, denn Verwechslungen sind so gut wie ausgeschlossen, da die wirkliche Tanne in der freien Natur kaum noch vorkommt.)
Damals hatte mein Vater das Buch in einem Antiquariat am Bahnhof Friedrichstraße erstanden. Er schmunzelte, als ich etwas ratlos in den über 570 Seiten blätterte. „Lies nur, steht allerhand drin!" Sicher, Fontane kannte ich von der Schule her als Dichter patriotischer Balladen und Autor von Romanen wie „Effi Briest", aber daß er in der Mark Wanderungen unternommen und auf Hunderten von Seiten beschrieben hatte, das war mir neu. Noch dazu war dies nur der erste Teil, es gab, wie am Schluß des Bandes vermerkt, drei weitere Teile, „Oderland", „Havelland", „Spreeland" und den Ergänzungsband „Fünf Schlösser", insgesamt, wenn alle Teile diesen Umfang hatten, weit über 2500 Seiten.
Bald war ich in den Text vertieft und zum erstenmal mit Theodor Fontane unterwegs, gefesselt von seiner Darstellungskunst im Plauderton, überwältigt von der Fülle der Landschaftsbilder und Menschenschicksale. Doch etwas fehlte bei diesem Leseerlebnis: die unmittelbare Anschauung, die eigene Ortskenntnis. Im Osten Berlins aufgewachsen, in einer kleinen Hinterhauswohnung in der Warschauer Straße, waren mir von sonntäglichen Familienunternehmungen und von Wandertagen der Schulklasse die Ausflugsziele in östlicher Richtung vertraut. Spaziergänge führten zum Treptower Park und zum Alten und Neuen Eierhäuschen im Plänterwald, Dampferfahrten von der Oberbaumbrücke über den Müggelsee nach Alt-Buchhorst und zur Woltersdorfer Schleuse, Waldwanderungen zum Beeren- und Pilzesammeln an den Bötzsee und Fängersee bei Strausberg, an die Löcknitz zwischen Fangschleuse und Kienbaum und, wenn es ganz hoch kam, auf die Rauenschen Berge bei F'ürstenwalde - dann war man schon weit draußen, und Mitternacht war nicht mehr fern, wenn man müde und kreuzlahm, aber sonnenverbrannt und gut durchgelüftet wieder in der Warschauer Straße ankam.
Nun erfuhr ich von ähnlich verlockenden Zielen in entgegengesetzter Richtung, nordwestlich von Berlin, von der Ruppiner Schweiz über Rheinsberg bis zum
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