Heft 
(1988) 45
Seite
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Stechlin. Die Städte Neuruppin und Gransee kannte ich von gelegentlichen Besuchen, hatte jedoch kaum etwas von ihrer Geschichte gewußt und historisch bedeutsame Bauwerke, Wallanlagen und Stadtmauern nur so nebenher wahr­genommen ohne besonderes Interesse. Das wurde jetzt schlagartig anders. Wenn ich wieder dorthin kam, wollte ich auf vieles, möglichst auf alles achten, was Fontane liebevoll beschrieben hatte, immer in der bangen Erwar­tung: Ist es noch da? Hat es die letzten Jahrzehnte überstanden, die Luft­angriffe während des von den Faschisten angezettelten zweiten Weltkrieges und die sinnlosen Kampfhandlungen noch an dessen Ende? Was ist aus den Städten und Dörfern, Kirchen und Schlössern, Denkmälern, Parkanlagen und Burgwällen, Seen und Wäldern geworden?

So kam ich schon bald darauf, Fontane nachzugehen, seine Wanderungen nach achtzig, hundert Jahren zu wiederholen, aus Neugier, aus Freude am Ent­decken und am erholsamen Unterwegssein in der Mark. Vielleicht sollte man auch einmal darüber berichten? Ein verwegener Gedanke, der gleich wieder verworfen wurde, denn wie hätte man sich in den fünfziger Jahren, nach abgeschlossenem Pädagogikstudium an der Berliner Humboldt-Universität als Lehrer für Englisch und Musik und dazu als Klassenleiter mit vielen neuen Aufgaben betraut, als völligunbeschriebenes Blatt vorstellen können, den stimmungsvollen, poetischen Schilderungen eines Stilkünstlers wie Fontane etwas Eigenes an die Seite zu stellen!

Doch die einmal geweckte Vorstellung, mochte sie noch so verwegen sein, ließ mich nicht mehr los. Erst einmal galt es, alle Teile derWanderungen" zu bekommen, um sie stets griffbereit zu haben. Das war (und ist bekanntlich noch heute) gar nicht einfach. Aber im Laufe einiger Jahre kamen sie zusam­men. Am längsten dauerte die Fahndung nach denFünf Schlössern", bis im Antiquariat Unter den Linden bald nach dessen Eröffnung ein Exemplar auf­tauchte, auch dunkelgrün und mit Kiefern und Silbersee auf dem Einband, doch ragt hier, genau dem Thema nachgestaltet, aus bewaldetem Hang ein Schloß über den See.

Dazu begann das Sammeln von Material über die von Fontane seinerzeit besuchten Orte. Broschüren, Faltblätter, Artikel in Zeitungen und Zeitschriften, Bilder und Wanderkarten, alles wurde in Mappen mit der AufschriftRuppin", Oderland" usw. aufgehoben.

Bei Wanderungen und Fahrten erwies sich Fontane immer mehr als Anreger undAugenöffner":Man sieht nur, was man weiß" wie wahr! Er hatte das Wort von einem Freund gehört und dann selbst gern verwendet.

Die Ziele selbst erschienen in neuem Licht. Fontane ist dort gewesen, hatte sie beschrieben, und nun, etwa ein Jahrhundert später, war es ungemein reizvoll, Vergleiche anzustellen. Die beiden größten Findlingsblöcke der Mark, die Markgrafensteine, lagen auf den Rauenschen Bergen noch ebenso, wie er sie 1881 gesehen hatte, ganz im Gegensatz zu den Dörfern am Scharmützel­see, wo sein Kutscher Moll gelassen konstatierte:In Saarow is nichts, das kenn' ich, und hier in Pieskow is gar nichts." Damals zwei Dörfchen in Stille und Einsamkeit am größten See der Mark heute beide zu einem schmuk- ken, vielbesuchten, sich über zwölf Kilometer um die nördliche Seehälfte herum erstreckenden Bade- und Erholungsort vereint. Dazu die Lebensver-

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