Heft 
(1988) 45
Seite
102
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unter der erwähnten Rubrik bekannt. R. Speirs (Birmingham) arbeitete die Rolle der Phantasie" im Roman, besonders bei der Figur der Lene Nimptsch, heraus und sieht durch deren realistische Behandlung bei Fontane auch dessen Rang als Realisten erhöht. Peter Wruck lieferte eine umfassende Interpretation, die den Roman als verinnerlichte Konfrontation sozial unterschiedlicher Le­bensformen erfaßt.

Als Fazit der bisherigen Beiträge überIrrungen, Wirrungen ergibt sich, daß der Roman ideell-kompositorisch zunehmend intensiver erschlossen wird. Diese fortschreitende hohe Erschließbarkeit, ja interpretatorische Unerschöpf- lichkeit erweist seinen außerordentlichen Kunstrang. (Fontane wollte ja weit­aus mehr Künstler als Schriftsteller sein.) In diesem Zusammenhang ist auch die international gewachsene Forschung als ein Ausdruck der weltweit stei­genden Resonanz von Fontanes Werken zu sehen.

An den Bemühungen,Irrungen, Wirrungen" als durchkomponiertes poetisches Gebilde zu erschließen, beteiligte sich inzwischen auch Gunter H. Hertling, der den Lesern der FB in Heft 37 von Dietrich Grohnert als Verfasser einer Studie überStine" alseine entzauberte .Zauberflöte'" vorgestellt wurde.

Eine ähnlich interessante, objektiv vielleicht sogar noch wichtigere Themen­stellung greift Hertling in der StudieTheodor Fontanes .Irrungen, Wirrun­gen. Die .Erste Seite' als Schlüssel zum Werk" auf. Er konzentriert sich auf den von der Wissenschaft vernachlässigten' Werkeingang, um ihn in Beziehung zum Romanganzen zu setzen.

Eröffnet wird Hertlings neuer Beitrag über Fontane jedoch durch einen inter­essanten Vergleich zwischenIrrungen, Wirrungen" undEffi Briest". H. geht in unserem Sinne davon aus,daß .Irrungen, Wirrungen' und ,Effi Briest' die wohl künstlerisch reifsten Berliner Gesellschaftsromane Theodor Fontanes sind" (S. 9). Er möchte, auch durch Analyse der Eingangspassage vonIrrun­gen, Wirrungen",die modisch gewordene .Bevorzugung' von ,Effi Briest' infrage stellen" (S. 14). Gemeinsamkeiten zwischen beiden Werken sieht er in der Gesellschaftskritik und in derweltanschaulich resignativen Stimmung" (S. 14), Unterschiede im Grade der romanhaften Breite und im Menschentum: Straffung, Kälte und Tragik einerseits, liebevolle Menschengestaltung ande­rerseits" (S. 15).Effi Briests eisige Welt läßt sich mit der so viel wärmeren um Lene Nimptsch und Botho kaum vergleichen" (S. 10). Motto und metho­discher Schlüssel für die vorliegende Untersuchung ist die briefliche Äußerung Fontanes vom 18.8.1880 gegenüber Gustav Karpeles:Das erste Kapitel ist immer die Hauptsache und in dem ersten Kapitel die erste Seite .. . Bei rich­tigem Aufbau muß in der ersten Seite der Keim des Ganzen stecken. Daher diese Sorge, diese Pusselei. Das Folgende kann mir nicht gleiche Schwierig­keiten machen . . ."

Der aus vierkonstruktionsschweren Langsätzen" (S. 23) bestehendeEin­führungspassus bzw. gar ,-paragraph" (S. 40, 45, 58) wird als Keim für den gesamten Roman angesehen, nicht nur für die ersten Kapitel. Daraus ergibt sich die Frage, w i e das Werkganze in die viersätzige Einführung" (S. 24) hineinprojeziert ist. Hertling verweilt besonders bei den beiden Eingangs­sätzen, die Raum und Zeit beschreiben, während er sich bei den Sätzen drei und vier, mit denen die erzählerische Lockerung und Entfaltung einsetzt, kürzer faßt. Der Roman beginnt bekanntlich mit den Worten:An dem