Schnittpunkt von Kurfürstendamm und Kur fürsten strafe ..Nach Hertling verweist „Kurfürstendamm" auf Aristokratisches" (S. 28, 46), „Kurfürsten- strafje" auf Bürgerlichkeit (S. 28, 30). „Schnittpunkt" deutet auf Begegnung, Zusammenführung beider Welten, aber auch auf wieder auseinanderlaufende (Lebens-)Linien, auf Trennung. So ist in den ersten Worten gleich auf Annäherung wie auf Trennung sozial Unebenbürtiger verwiesen. Vor allem ist nach H. das Nichtdauerhafte, Transistorische der Geschichte angekündigt. Auf Vergänglichkeit deutet auch das erste Prädikat hin, das im Imperfekt steht und zwischen weitere Ortsbestimmungen gestellt ist: „...schräg gegenüber dem .Zoologischen' befand sich in der Mitte der siebziger Jahre noch eine grofje, feldeinwärts sich erstreckende Gärtnerei ..
Die Bedeutung der Lage des „Schnittpunktes" kommentiert H. so: „Verglichen mit der .feldeinwärts sich erstreckenden Gärtnerei', einem in die freie Natur sich öffnendem Gebiet, beinhaltet das .Zoologische' eine von Menschenhand schon kultivierte und gepflegte, so doch künstliche Natürlichkeit und den Begriff der Einfriedung, des Gefangenseins" (S. 28). Das auf dem Gelände der Gärtnerei liegende „Wohnhaus" der Nimptschs ist „trotz aller Kleinheit und Zurückgezogenheit von der vorübergehenden Strafje" erkennbar, d. h. die Menschlichkeit seiner Bewohner ist (Mitte der siebziger Jahre!) noch wahrnehmbar.
Innerhalb des zweiten Einführungssatzes veranlag vor allem das „Holztürmchen" des von den Dörrs bewohnten „Schlosses" H. zu weitgehender Interpretation. Es ist neben der Farbsymbolik hauptsächlich „das halb weggebrochene Zifferblatt unter der Turmspitze (von Uhr selbst keine Rede)", das zur Ausdeutung einlädt. H. sieht in diesem Dingsymbol das Vorzeichen für das im Bereich der Gärtnerei und der Liebe fehlende Zeitbewu5tsein. Das Paradies der Liebe als Aufhebung, als Stillstand der Zeit, bis die feudalkonventionelle Welt, gleichsam mit eisernen Armen, immer mehr zeitlich determinierend und die Gesellschaft regulierend in die Geschichte eingreift (der Brief Kurt Anton von Ostens an Rienäcker, „ein Uhr (pünktlich) bei Hiller" zu sein, der Brief der Mutter an Botho vom 29. 6.1875 usw.). „Die häufiger werdenden Zeithinweise im Verlaufe des letzten Romanteils .. . bekunden mit zunehmender Intensität die Unwiederbringlichkeit jenes im Zentrum des Romans stehenden, scheinbar so zeitlosen, märchenhaften Glücks" (S. 39 f.).
Zahlensymbolik wird in Gestalt eines Wandels des Erzählgeschehens von der Drei- zur Zweizahl ermittelt. Im ersten, poetischeren Romanteil würden drei Lebenskreise geschildert, die ineinander übergehen: Dörrs, Nimptschs und Bothos. In der zweiten, prosaischeren Hälfte reduziere sich das Geschehen auf zwei Bereiche, die voneinander abgeschlossen sind: Bothos Ehe mit Käthe, Lenes Ehe mit Gideon, also Wendung von Durchlässigkeit und Übergänglich- keit der Welten zu Abkapselung, Verfestigung und Resignation. Die Dreizahl käme im zweiten Teile, in Gestalt der drei oberflächlichen Postkarten Käthes von der Reise nach Schlangenbad, nur noch in ironischer Form vor. „Die allmähliche Verringerung der Drei auf Zwei .. . bekundet raum-zahlen- und menschenbezogen den unausbleiblichen Triumph einer zweigeteilten Gesellschaftsstruktur" (S. 50). Zwischenwelten sind im Verlaufe der weiteren siebziger Jahre ausgelöscht worden.
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