Heft 
(1988) 45
Seite
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Das 1. Kapitel (Das Zitat als offenes Gestaltungsmittel") nimmt sich vor allem mitUnwiederbringlich" (18871890/91) sowie mitCecile" (1885/86),Graf Petöfy" (1883/84) undL'Adultera" (1880/82) der Gruppe der am weitesten ausgeprägten und mannigfaltigsten Zitattechnik in Fontanes Romanschaffen an. Es werden die verschiedenen Formen der Zitatverwendung, angefangen von kleineren, nur für die jeweilige Situation oder Szene bedeutsamen Anspielun­gen (z. B. Namenszitate) bis hin zu wirklich strukturell-thematisch wirksamen lyrischen Zitaten, etwa den Uhland- und Waiblinger-Balladen inUnwieder­bringlich" oder LenausNach Süden" inGraf Petöfy" bzw. den bestimmenden Rollen- und Motivzitaten, z. B. derMaria Stuart", desWallenstein", der Emilia Galotti" inCecile" oder des ,Tintoretto-Bildes' inL'Adultera" u. a. m. herausgestellt, die ineinander verschränkt, potenzierend oder kontrastierend den jeweiligen Werken ihr Gepräge geben.

Eine zweite Gruppe von Romanen wird im 2. Kapitel (Das verschlüsselte Zitat") behandelt, obschon auch hier Rollen- und Motivzitate vorherrschen, allerdings nun in einer veränderten Art und Weise, der der Kontrafaktur. Das Zitat gibt sich als solches nicht mehr offen und direkt zu erkennen, sondern es scheint als vorausgelagertes, präformierendes, d. h. verdecktes Modell oder Muster nur auf. Als Kontrafaktur begriffen, besitzt es aber fast noch stärkere präfigurierende Kraft als die offene Zitierweise in den Romanen der ersten Gruppe. So werdenIrrungen, Wirrungen" (188487) undStine" (1887/88) als Komplementärromane unter dem Zitatkomplex der Luise Millerin aus SchillersKabale und Liebe" gesehen und interpretiert, die Kriminalerzählung Unterm Birnbaum" (1884/85) z. B. kann in solcher Weise von L. V. als Macbeth auf dem Dorfe" gelesen werden.

Mathilde Möhring" (189196/1906) undFrau Jenny Treibei" (188791/92) erscheinen dann im 3. Kapitel (Das Zitat als Parodie. Bildungskritik") als Repräsentanten einer Übergangsphase, einer Phase der Abkehr von der bis­herigen Zitatverwendung, ja des beginnenden Auflösungsprozesses der erzähle­rischen Möglichkeiten des Zitats bei Fontane überhaupt. InMathilde Möh­ring" werden die noch vorhandenen Zitate (lyrisches Zitat [Lenau] und verschiedene Rollenzitate, z. B. aus SchillersDie Räuber" und CalderonsDas Leben ein Traum") als fragwürdig geworden, als im poetischen Sinne nicht mehr funktionstüchtig von Fontane kritisiert, ja ironisiert. Ihr präfigurierender Charakter erscheint gebrochen. Wurde die poetische Wahrheit bis dato von Fontane immer als primäre gegenüber den Ansprüchen der Wirklichkeit an­gesehen, gerät sie nun angesichts zunehmender Sinnentleerung der Realität selbst ins Zwielicht.Frau Jenny Treibei" gar bietet nur noch ein Bild der parodistischen Zitatverwendung durch den entleerten Zitatwitz bzw. das trivia- lisierte Konversationszitat oder die schon im Untertitel herausgestellte Parodie lyrischen Zitierens (Wo sich Herz zum Herzen findt"). Satire und Parodie sind hier nicht nur Mittel der Gesellschaftskritik, sondern wie L. V. hervorhebt, auch Kritik der eigenen bisherigen poetischen Methode.

Damit deutet sich bereits eine Erklärung dafür an, warum die Spätwerke des Dichters in L. Voss' Buch nahezu keine Rolle spielen. Im resümierenden Schlufj- kapitel wird freilich mehr behauptet als bewiesen, dafj in ihnen das Zitat nicht mehr den Struktur- und gehaltprägenden Charakter besitze und auf Rest­reformen wie das parodistische Konversations- und Gesprächszitat oder auf

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