einen nur mehr ganz lockeren bzw. verwischten Rollenzitatgebrauch geschwunden sei. Da dies zudem nur in subjektiver und wenig überzeugender Weise allein mit dem gewachsenen Mißtrauen Fontanes gegenüber seinem früheren methodischen Vorgehen zu begründen versucht wird, bleibt angesichts der zwar kurzen, aber doch recht interessanten Ausführungen etwa zu „Effi Briest" oder zum „Stechlin" — die durchaus auch auf ausgeprägtere Formen der Zitatverwendung schließen lassen — die Frage, warum nicht auch eine genauere Untersuchung dieser Werke vorgenommen wurde. So jedenfalls wird die Kardinalthese von der literarischen Präfiguration und Poetisierung mittels der Zitattechnik als das grundlegende erzählerische Prinzip Fontanes nicht nur relativiert, sondern sogar in starkem Maße anfechtbar. Von hier aus knüpft sich auch eine Reihe von Bedenken und Einwänden gegen die Arbeit, die zumindest in einigen Fragen Andeutung finden sollen.
Die zentrale Aussage L. Voss' zum poetischen Verfahren Fontanes, die sie auch über weite Strecken der Arbeit schlüssig zu verifizieren vermag, ist vom Grundsätzlichen her sicherlich nicht zu bestreiten. Auf ähnliches ist in der Fontane- Forschung schon des öfteren aufmerksam gemacht worden. 3 Zu fragen bliebe aber zumindest, ob das zur künstlerischen Methode erhobene Identifikationsmodell nicht auch aus einem gewissen Systemdenken der Verfasserin heraus als durchgängiges und beherrschendes gekennzeichnet worden ist und damit wiederum der künstlerische Produktionsprozeß des Dichters Fontane nicht zu starr und zu einseitig ausgelegt wird? Und ob so an dem wirklich statthabenden, weitaus differenzierteren und vielschichtigeren Vorgang künstlerischen Schaffens nicht etwas fahrlässig vorbeigesehen wird, was der Gefahr von Reduktionen und Simplifizierungen in nicht unerheblichem Maße Vorschub leistet? In diesem Zusammenhang stellt sich noch eine weitere Frage. Liegt nicht in dem hier aufgezeigten Verfahren der Suche und Wiederentdeckung bestimmter Modelle die Tendenz zu einer Art literaturwissenschaftlichen Rasterdenkens, durch welches sich Literatur letztlich in eine mehr; oder minder große Zahl von zu Motivkomplexen geronnenen Grundmustern menschlichen Verhaltens aufzulösen beginnt? Und weiter. Führt die mit der Zitattechnik verbundene Typisierung zu der behaupteten Entindividualisierung der Figuren, oder ist es nicht viel eher so, daß diese weitaus komplexer angelegt sind, im Gegenteil ein sehr starkes individuelles Gepräge besitzen, als daß sie tatsächlich immer mit interpretatorischem Gewinn auf vorgeformte Muster gezogen werden könnten? Und erbringt die enge Bindung von Figur/Werk und Zitat in der Interpretation nicht eine zu kurz greifende, weil eindeutig machende Fixierung? Ist Fontane nicht gerade ein Meister des Mehrdeutigen, des In-der-Schwebe-Haltens, des nur Angedeuteten, der in Bewegung zu setzenden und damit zum literarischen Werk übergreifenden Widerspruch führenden Gegensatz- und Konfliktdarstellung?
Auf ein anderes Problem zielt die Frage nach der Zitat-Form-Beziehung, die leider in der Untersuchung bis auf die weniger relevanten Konversationszitate weitestgehend unberücksichtigt bleibt. Wäre aber nicht gerade bei einer derartigen Häufung und derartigen Vielschichtigkeit der Fontaneschen Zitatverwendung die Beleuchtung dieses Aspektes der erzähltechnisch-formprägenden Wirksamkeit der Zitate von nicht geringzuschätzender Aussagekraft gewesen? Und noch auf ein letztes sei verwiesen. Ist ein solch unvermitteltes Ins-Ver-
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