Heft 
(1988) 45
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Fontane, Theodor: Stine. Roman. Mit e. Nachw. von Peter Demetz. Frankfurt/M.: Insel 1986. 149 S. (Insel Taschenbuch; 899)

(Rez.: Volker Giel, Leipzig)

Melanie van der Straaten, Lene Nimptsch, Jenny Treibei oder Effi Briest ja! Aber Stine, Stine Rehbein? Wer ist schon diese Stine? Dieflachsgelb(e)", etwas angekränkelte Blondine" mit den zwarüberaus freundlichen", an d(en) Ränder(n)" aber schonleicht gerötet(en) ... Augen' oder wie Fontane unverblümt und in fast despektierlichem Ton über seine Romanfigur reflek­tiert:die sentimentale und weisheitsvolle Lise' (Brief an Schlenther v. 13. 6. 1888), derPechvogel" (Brief an Harden, Dezember 1889). Diese Figur als Titelheldin, dahat das Ganze mit darunter zu leiden" (Brief an Schlenther v. 13. 6. 1888).

Und tatsächlich, die Geschichte der Rezeption des Werkes, angefangen schon von den Schwierigkeiten bei der Veröffentlichung (die Familienblätter und Buchverleger wiegelten gleichermaßen a b:zu brenzlig",unsittliche Novelle") über den zwischen Reserviertheit und versteckter oder offener Ablehnung ver­laufenden Grundtenor der zeitgenössischen Kritik bis hin zu einem oft ab­wertenden Unverständnis der Literaturwissenschaft noch tief in unserem Jahrhundert erscheint als eine Geschichte von Ressentiments und Vorurteilen. Zählebig halten sich in den meist recht pauschalen Bewertungen charakterisie­rende Schlagworte wiefarblos",sentimental",trivial",melancholisch", klischeehaft" oder gardekadent". So wirdStine" nur als matter Aufguß des KomplementärwerksIrrungen, Wirrungen" (1888) betrachtet oder ohne weiteres einfach postuliert,zu den künstlerisch vollkommeneren und welt­anschaulich ansprechenderen Gesellschaftsromanen" Fontanes zähle dasKlein­werk" (!?) freilich nicht. Was Wunder, wenn sich auch die sonst so zahlreiche Leserschaft Fontanes derart vorgeprägt, eher zurückhaltend verhielt. Denn auch editorisch gehörtStine" nicht zu den Dauerbrennern, den Verlagshits, wie die sogenannten .Meisterwerke', etwaDer Stechlin",Frau Jenny Treibel", Irrungen, Wirrungen" oderEffi Briest", sondern eher zu den Stiefkindern unter den poetischen Arbeiten Fontanes.

Es ist deshalb schon durchaus beachtens- und würdigenswert, wenn sich jetzt der Frankfurter Insel Verlag und ein international so renommierter Literatur­wissenschaftler wie Peter Demetz zusammengefunden haben, um mit einer Taschenbuch-Neuveröffentlichung das Werk zumindest etwas aus seinem Schat­tendasein herauszuführen. Das um so mehr, da sich Verbreitung und Kenntnis des CEuvre eines Dichters beim Großteil des Publikums vor allem über solche leicht zugänglichen und handhabbaren Einzelveröffentlichungen und weniger über großangelegte wissenschaftliche Editionsprojekte herstellt, also der Stel­lenwert eines Autors im gesellschaftlich-literarischen Bewußtsein der Zeit gerade davon in einem nicht zu untersätzenden Maße mit abhängig ist.

Ein Buch für alle also, Lesefutter? Das trifft natürlich obwohl es gar nicht abwertend gemeint ist für eine Veröffentlichung in einer so angesehenen Taschenbuch-Reihe, wie sie dasinsei taschenbuch" darstellt, nur zum Teil zu. Immerhin hat man für das Nachwort mit Peter Demetz einen Mann verpflich-

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