ten können, der mit seinem erstmalig 1964 erschienenen Buch „Formen des Realismus. Theodor Fontane" richtungsweisende Impulse für die Fontane- Forschung gegeben hat, die bis heute kaum etwas von ihrer Wirkung verloren haben. Damit sind natürlich Erwartungen geweckt, die, um es gleich vorwegzunehmen, meines Erachtens auch nicht enttäuscht worden sind.
Demetz ist nachgewiesenermaßen profunder Kenner internationaler Literatur, weltliterarischer Zusammenhänge. Er kommt von der vergleichenden Literaturwissenschaft her. Und das wird auch in dem kleinen, siebzehnseitigen „Stine"- Nachwort spürbar und gereicht diesem in nicht unerheblichen Maße zum Vorteil. Berührungs- und Abstofjungspunkte Fontanes sind ständig im Blickfeld, diachrone und synchrone Verbindungslinien werden gezogen. Vergleichsebenen zu literarischen Entwicklungsprozessen etwa in Frankreich (Balzac, Flaubert, Zola), England (Scott, Trollope), Rußland (Turgenjew) oder Deutschland (Spielhagen, Naturalisten) werden aufgebaut, heben Demetz' Darstellung über eine bloße Werkstudie deutlich hinaus. Der Text selbst aber bleibt stets zentrale und unverzichtbare Bezugsgröße, ohne daß Demetz dabei Gefahr liefe, das gesellschaftliche Bedingungsgefüge, als strukturbildendes Moment begriffen, etwa nicht mit in Rechnung zu stellen. Wer allerdings eine in sich geschlossene, nach allen Regeln literaturwissenschaftlicher Analyse verfertigte Interpretation erwartet, wird sich enttäuscht sehen.
Demetz geht einen anderen Weg. Eher punktuell, aufrißartig läßt er sich auf verschiedene markante Aspekte erzähltechnischer, inhaltlicher, kompositorischer bzw. gestalterischer Art ein. Es werden Grundlegungen für die Beantwortung der Frage nach der Stellung „Stines" im Gesamtwerk Fontanes sowie nach dem spezifischen Beitrag des Dichters zur Entwicklung des Realismus im 19. Jahrhundert gesucht und gefunden. Gleichzeitig entgeht das Nachwort damit der Gefahr, dem Leser ein Muster bzw. Modellschema aufzuzwingen, welches die Rezeption eher einschränkt als sie im produktiven Sinne zu stimulieren. Vielmehr zielt sein Verfahren darauf, aufmerksam zu machen, Markierungszeichen zu setzen, eine sensiblere Lektüre zu fordern und zu fördern.
Demetz setzt dabei an zwei scheinbar voneinander völlig unabhängigen Hauptpunkten der künstlerischen Methode Fontanes an. Zunächst wendet er sich dem für den Epiker Fontane poetologisch zentralen Problem der Erzählweise zu. Es wird herausgearbeitet, wie der Dichter im Unterschied zu seinen vorausgegangenen Romanen und Erzählungen in „Stine" durch die Zurücknahme der unmittelbaren Schilderung des Erzählers und durch die konsequente Anwendung eines dialogisch-szenischen Erzählens nicht nur zu einer nuancier- teren individuellen und authentischen Figurencharakteristik gelangt, sondern wie dadurch gleichsam ein Netz polyperspektivischer Reflexion entsteht, wie Fontane Realität, „Dinge, Menschen und Beziehungen ... mittelbar im Bewußtsein anderer" (S. 137), d. h. konkret im Gespräch seiner Figuren zu entdecken bemüht ist. Das dialektische Verhältnis von Figur/Ereignis setzt sich hier nicht mehr primär in Handlung, sondern in Gespräche um, die „wieder in Gesprächen über Gespräche ihre potentielle Fortsetzung finden" (ebd.). Mit der so statthabenden „Verwandlung der Welt ins Gespräch" (ebd.), wie es Demetz nennt, vollzieht Fontane in seiner künstlerischen Entwicklung gerade mit
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