Schillemeit, Jost: Berlin und die Berliner. Neuaufgefundene Fontane- Manuskripte. — In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. 30/1986, S. 34-82
(Rez.: Wolfgang Döhnert, Berlin)
Wer will, betrachte die Veröffentlichung als Geschenk für Berlin und die Berliner, das im 750. Jubiläumsjahr der Stadt gerade zu rechter Zeit kommt. Der alte Fontane hat es hinterlassen. Denn die zumeist schnell hingeworfenen, stichwortartigen Sätze aus der Werkstatt des Dichters sind lebendige Illustrationen zur Stadtgeschichte. Im Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft liegen sie nun vor — sieben neuaufgefundene Fontane-Manuskripte, versehen mit Kommentaren und Variantenvergleichen von Jost Schillemeit. Die Texte befinden sich im Besitz von Robert Wallich in London.
Neben einem kleinen Stück aus dem Roman-Entwurf «Die Poggenpuhls" und einem vom 16. Februar 1864 datierten Brief an den Berliner Publizisten Ernst Kossak (1814—1880) sind es insgesamt fünf Aufsatzentwürfe, die damit einem breiten Leserkreis zugänglich gemacht werden. Abgesehen von dem Brief konnte ihre Entstehung von der Forschung allerdings bis jetzt nur annähernd bestimmt werden. Auf jeden Fall stammen die Texte jedoch aus einer Arbeitsperiode, die von den späten siebziger bis in die neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts reicht, als die Stadt und ihre Menschen für Fontane „romanfähig" 1 geworden waren.
Ein Manuskript ist in einer Variante bekannt — „Berliner Ton". Die „Vossische Zeitung" veröffentlichte 1920 unter diesem Titel ein Feuilleton. Zu Fontanes Zeiten war es Fragment geblieben und nicht gedruckt worden, und der damals von der Zeitung erstmals publizierte Text, der im Nachlaß des Dichters entdeckt worden war, wurde ungenau wiedergegeben. Überdies fehlten mehrere, unterschiedlich lange Abschnitte.
In der BRD ist diese kritische Darstellung Berliner Benehmens unter anderem im Band 18 der Nymphenburger Fontane-Ausgabe erschienen, und in der DDR — Jost Schillemeit ist das entgangen — 1979 im Buchverlag „Der Morgen" in einer von Heinz Knobloch herausgegebenen und erläuterten Feuilleton-Sammlung-,
Doch die anderen Manuskripte waren bislang wohl noch nicht allgemein zugänglich. So der Text „Adel und Judenthum in der Berliner Gesellschaft". Fontane vergleicht darin Vertreter des Adels, deren Durchschnitt — wie er feststellt — „viel zu wünschen übrig ließ" 3 mit dem wachsenden Ansehen und Einfluß der großbürgerlichen, jüdischen Bankier- und Kaufmannskreise. Gewisse Formulierungen klingen in seinen Berliner Romanen und auch in Briefen an, so an Georg Friedlaender der Hinweis auf den jüdischen Beitrag zur Entwicklung der deutschen Kultur, verknüpft mit der für Fontane charakteristischen Andeutung von Vorbehalten' 1 .
Inhaltlich ähnlich ist ein weiterer stichwortartiger Aufsalzentwurf, der die Überschrift „Die Juden in der Gesellschaft" trägt. Jost Schillemeit meint, man wird sich diese Aufzeichnungen Anfang November 1892 entstanden denken können, kaum jedoch nach 1893. Möglicherweise bestehe auch ein Zusammen-