Heft 
(1988) 45
Seite
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hang mit der Planung einer Verwendung des Themas für die eigene literarische Arbeit, was Fontane am 21. 6. 1893 Julius Rodenberg in einem Brief 3 wissen läßt.

Recht kritisch mit der sich aus Preußens Hauptstadt zur Reichshauptstadt mausernden Spreemetropole geht der alte Fontane in den NotizenWie man in Berlin so lebt" zu Gericht. Was er da flüchtig, in der Eingebung des Augen­blicks hingeworfen hat, klingt nicht sehr schmeichelhaft, ist andererseits jedoch so ernst wohl auch nicht zu nehmen. Die Sätze über die Gaststätten könnten Kurt Tucholsky aus der Feder geflossen sein:Eine gute Tasse Kaffe gehört in Berlin zu den Seltenheiten; die Hälfte der Sommerreisen (zwischen den Zeilen: ins Böhmische führe ich auf diesen Umstand zurück) ist auf die daraus entspringende Sehnsucht zurückzuführen ... In guten Restaurants kriegt man unglaubliche Beefsteaks, mit einem starken Stich oder einen Beigeschmack von Hauklotz und wenn man sie stehen läßt, ist der Wirth beleidigt. Er fordert Selbsttötung als Anstandspflicht. " <i

Und dann Fontanes Erlebnis in einem Berliner Zimmer:Morgens um 7 der Zug des Water-Closets Wer ein bischen Phantasie hat, ist in einem Schreckens­zustand, um 8 oder wenig später werden auf dem 6 Meter im Quadrat großen Hofe Decken geklopft, eh man noch fertig ist, erscheint ein Leierkasten. Ein Glück, daß dass Deckenklopfen noch nicht ganz fertig ist, so frißt eins das andere auf." 7

Und dann die liebe Not des alten Fontane mit den Kleidern:Die Hose bammelt und schlägt überall Falten wo sie keine schlagen soll; zieht man die Träger an, so schneidet sie ein, läßt man die Träger los so tritt man drauf. Die Weste ist wie für einen Bierbrauer und ich habe kaum Mittel (darüber: mittlere) Brust- und Bauchweite. Dann der Rock. Ich stecke in einem Futteral (über den Zeilen und am Rande links: Ich lasse mir dabei helfen, weil es sonst gar nicht geht und nun endlich sitz' ich drin und stecke wie in einem Futteral. Alles zu eng) und die Manschetten sammt einem Stück Hemdärmel wachsen aus dem Ärmel heraus (zwischen den Zeilen: und ein unleserliches Wort oder Wort-Fragment alles in allem stehe ich da wie eine Jammerfigur). Es ist überhaupt nur ein Halbärmel. Als der Schneider (Satz im Manuskript abgebrochen). Ich bin ein alter Herr, aber wenn man mir ein Tuch über den Kopf deckt, (unter der Zeile: und dafür meine besten Gesellschaftsröcke) wird mich jeder für einen Confirmanden halten. Und dies ist das Produkt eines sogenannten guten Schneiders, eines ersten gewissenhaften Künstlers. Denn als unter beständiger genauester Zahlennennung Maß genommen wurde, war es als ob die Firth of Forth-Brücke neugebaut werden sollte, so minutiös die Berechnung." 8

Eine ureigenste Wortschöpfung Fontanes ist so lautet auch die Überschrift des ManuskriptsBerliner Sprechanismus".

Ueberall giebt es plauderhafte Menschen, aber jene Form der Plauderhaftigkeit die ,Sprechanismus' heißt, giebt es nur in Berlin. Eigentlich ist es gar keine Plauderhaftigkeit. Plaudern ist etwas Gemüthliches, es läßt die Möglichkeit einer Unterbrechung zu, ja wenn es echt ist, ist es etwas auf Gegenseitigkeit Begrün­detes, jedenfalls ist es etwas Harmloses, Gemüthliches, was man vom Sprechanismus nicht sagen kann. Der Sprechanismus ist hart und unerbittlich und sein charakteristisches Zeichen ist nicht das einfache, gewandte Sprechen-

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