Heft 
(1988) 45
Seite
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ten die symbolisch-lyrisierende Erzählweise ein hochmoderner zeitgenössi­scher Stil geworden. Man denke nur an die suggestive Symbolik bei Heming­way inDer alte Mann und das Meer", an Juri Trifonows Maximen, einen Roman als Novelle zu erzählen undin der Kürze Unendliches zu finden" 1 1 , die zum Beispiel in seiner Moskauer NovelleDer Tausch" exemplarisch ver­wirklicht sind, oder an die Symbolhaftigkeit und Gedichthaftigkeit der Prosa Christa Wolfs, um nur einige markante Beispiele zu nennen. Unmittelbare Anklänge an Thomas Mann, speziell an dieTristan"-Novelle, findet man bei Christa Wolf inNachdenken über Christa T." im 12. Kapitel bei Gestaltung der Wiederbegegnung zwischen Christa T. und einem ihrer früheren Schü­ler 111 . Die stoffliche Entlastung der Romankunst durch andere Künste und Medien und das gewachsene allgemeine Kunstbewußtsein haben die symbo­lisch-lyrisierende parabelhafte Erzählweise zu einer Notwendigkeit erhoben. Fontane und Thomas Mann, zu denen sich Christa Wolf, Günter de Bruyn oder auch Juri Trifonow direkt bekennen, sind damit Ahnherrn und Trieb­kräfte derästhetischen Emanzipation" 17 in der modernen sozialistischen Literatur in der DDR und in der Sowjetunion, bei der es sowohl um die Überwindung reiner soziologischer Stofflichkeit als auch vordergründiger Didaktik durch die überzeugende Synthese von Kunst und Moral, von Ge­wissen und Geschmack geht. 1 * Hans-Georg Werner spricht im Falle der mora­lisch-ästhetisch emanzipierten Literatur neuerdings 19 vonsubjektiv verant­worteter künstlerischer Literatur", offenbar in bewußter Abgrenzung von entfremdeter Literatur. Unter diesen aktuellen Aspekten kann die Hervor­hebung der Einheit von Detailbesessenheit und Konstruktivität des Erzählens bei Fontane und Thomas Mann nicht hoch genug veranschlagt werden.

Als Schlüssel- und Titelmotiv für den komplexen Vergleich fungiert die For­mel von derverantwortungsvollen Ungebundenheit", mit der Thomas Mann im Jahre 1910 .in seinem Essay über den alten Fontane dessen Sehweise und Haltung paradox-genau beschrieben hatte und die er damals auch für sich selbst beanspruchte. Ohl sieht in dieser Methodenbestimmungdie tiefste Gemeinsamkeit zwischen Thomas Mann und Fontane" 20 .Verantwortungsvolle Ungebundenheit" als nicht-bornierte, nicht-apologetische Offenheit für die Wirklichkeit, aber auch als Ursache für spontane Widersprüchlichkeit und Ambivalenz. Ohl neigt nun aber dazu, dieverantwortungsvolle Ungebunden­heit" vom ideologischen Reifeprozeß Fontanes zu isolieren, wie er andererseits die weltanschaulichen Fortschritte in der Entwicklung Thomas Manns nicht präzisiert. Diese Tendenz erwächst wohl aus der nur-allgemeinen, undifferen­zierten Historizität, die dem Beitrag zugrundeliegt. 21

Hervorhebenswert erscheint mir noch zweierlei: das Eingehen auf die durch Fontane bedingten Stellungnahmen Thomas Manns zur Literaturwissenschaft und auf die Bemerkungen über das Verhältnis zwischenMythus und Psycho­logie", die Thomas Mann 1919 beim ersteh Wiederabdruck des Essays ein­gefügt hatte. Ohl betont, daß Fontane der erste Schriftsteller war, dem Thomas Mann ein Einzelporträt widmete, und daß er zu den wenigen Autoren gehört, deretwegen er sich auf Auseinandersetzung mit der Wissenschaft eingelassen hat. Während Thomas Mann das GedichtLeben; wohl dem, dem es spen­det .. ." tiefsinniger deutete als es Fontane gemeint hatte und damit in der Polemik gegen Otto Pniower, freilich aus höchst künstlerischen Gründen,

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