Heft 
(1989) 47
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Dieser Artikel läßt auf Zabels gute Kenntnis nicht nur der Werke des Dichters, sondern auch seiner Persönlichkeit schließen. FontanesDank ins Dunkel hin­ein", noch ehe er überhaupt gelesen, zeugt von einer besonderen Verbindlichkeit gegen den Schreiber, die sicher nicht nur aus Rücksichtnahme auf Zabels Chef und Freund Karl Frenzel, den Festredner von Fontanes offizieller Geburtstags­feier, resuliert. Fontane nimmt sich vor, aus dem riesigen Stapel von Aufsätzen, die zu seinem Geburtstag erschienen sind, mit Zabels Artikel eine Ausnahme zu machen und ihn wirklich zu lesen. Am 9. Januar 1890 schreibt er an Paul Schlen- ther, der ihm immer noch Zeitungsausschnitte schickt:Besten Dank für die Sen­dung. Es kommt alles in einen großen Reisekorb; lesen kann ich nichts mehr; nur an Zabel will ich mich nachträglich noch 'ran machen." 17 Von nun an scheut sich Fontane, Geselligkeiten zu suchen, auf denen er neben seinem jungen Freund Otto Brahm auch Zabel treffen könnte, dessen Dramatisierung von Dostojewskis Raskolnikow" (Schuld und Sühne) gerade von dem angriffslustigen Leiter der Freien Bühne heruntergemacht worden war. 18 Im Brief vom 7. Dezember 1890 an Wilhelm Hertz beklagt sich Fontane, eine solche Geselligkeit wegen des mit­unter allzu heftig geführten Streits der literarischen Parteien ablehnend:Wie soll ich mich da benehmen? Kann ich mit dem kleinen Brahm ein Liebes- und Freundschafts- Têtê à Têtê haben, während Gensichen oder Zabel oder irgend ein anderer eben Abgeschlachteter daneben sitzt?" 19

Es mag sein, daß Fontanes Haltung gegen Zabel aufgrund des großen Altersunter­schiedes von einer gewissen Reserve diktiert war. Auf Zabels Seite blieb die schon 1889 öffentlich geäußerte Verehrung für den Dichter über dessen Tod hinaus erhalten. Damals hatte er manches aus Fontanes Feder alsmustergültig und unübertrefflich" bezeichnet und dem mitunter mangelhaften Verständnis beim Publikum entgegengehalten:Alles Feine, Vornehme und Selbständige muß eine Weile im Schatten stehen und braucht Zeit um durchzudringen." Im Jahr 1900 stellte Zabel bei einer Besprechung des eben erschienenen BandesAus England und Schottland" mit Genugtuung fest, daßdie Werke dieses Schriftstellers, je älter sie werden, eine immer größere Anerkennung und Vertiefung" erfahren. Er fährt fort, zum erstenmal auch seine persönliche Bekanntschaft mit dem Dichter ins Spiel bringend:1889 kam sein siebzigster Geburtstag, der in seinem Leben und seiner Kunst eine Epoche bildete, weil er keine künstliche Vergoldung eines erblassenden Ruhmes bedeutete, sondern den bescheidenen Mann aus seiner literarischen Ecke hervorholte und ihn dem gebildeten Publikum Deutschlands in festlicher Beleuchtung vorstellte als eine Persönlichkeit, mit deren Leistungen man sich in Zukunft ernst und gründlich zu beschäftigen habe .. . Bald nach dem festlichen Tage, dessen glänzender Verlauf ihm wie ein Traum erschienen war, trafen wir den Dichter auf seinem gewohnten Nachmittagsspaziergang am Schöne­berger Ufer. Er war gehobener Stimmung und voll tiefer Dankbarkeit über das empfangene Gute, aber zugleich leuchtete doch aus seinen schönen blauen Augen etwas wie Wehmut, als er fragte, was aus der Beurteilung seiner Schilderungen und Dichtungen wohl geworden wäre, wenn er diese patriarchalische Altersstufe zufällig nicht erreicht hätte. Er hatte den Lohn für reiches treues Wirken endlich erhalten, aber er verdiente ihn sich zugleich aufs Neue, indem er nicht zurück, sondern vorwärts blickte, mit weißen Haaren als Erzähler mächtig wuchs ... Als wir dann vor der Gruft des Mannes standen, der rasch und mit einem Scherzwort auf den Lippen von uns gegangen war, fiel die Schwere dieses Verlustes allen aufs Herz und wir fragten uns, ob wir die Schuld der Anerkennung und Dankbarkeit wirklich schon völlig abgetragen haben." 29

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