Heft 
(1989) 47
Seite
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Helen Chambers, Leeds (Hrsg.)

Theodor Fontanes Longfellow-Vortrag am 29. 2. 1860 in Berlin

I

Mittwoch, den 29. d. M.

findet meine 8. Vorlesung (Longfellow) von 5 bis 6 in Arnim's Hotel bestimmt statt. Tagesbillets à 15 Sgr. an der Kasse. Th. Fontane." so lautet die beschei­dene Notiz in der Neuen Preußischen Kreuz-Zeitung am 29. 2.1860 neben Reklame fürPariser geflochtene Bandhauben in allen Farben à Stück 20 Sgr." und auf- digeren Annoncen für Circus Renz und Krolls Etablissement. Von Januar 1859 an, dem Zeitpunkt seiner Rückkehr nach Berlin von einem dreijährigen Aufenthalt in London als Pressekorrespondent im Dienst der preußischen Regierung, be­mühte sich Fontane, für seine wachsende Familie zu sorgen. (Am 21. 3. 1860 wurde seine Tochter Martha [Mete] geboren.) Briefe an Heyse, Wolfsohn und Hertz bezeugen seine heikle finanzielle Lage und seine unablässige Suche nach Ver­legern. Eine Reihe von zehn Vorträgen über englische Themen (darunter auch schottische und amerikanische) erschien ihm sinnvoll, um seine im Ausland gewonnenen Erfahrungen in Bargeld umzusetzen 1 . Sie sollte ihm auch, wie aus einem Brief an die Mutter hervorgeht, dazu verhelfen, in der deutschen litera­rischen Öffentlichkeit zu Rang und Namen zu kommen:Mich beschäftigen jetzt zumeist meine Vorlesungen, die am 11. Januar beginnen sollen. Ich verspreche mir nicht viel davon, denn ganz andere Dinge haben ja auch zu nichts geführt, aber ich fühle die Nothwendigkeit 'mal wieder vor dem Publikum zu erscheinen und diesen und jenen wissen zu lassen, daß ich noch da bin." 2

Die Vorlesungen fanden jede Woche in der gepflegten Atmosphäre von Arnims Hotel, Unter den Linden 44, statt. Dazu heißt es in einer Zeitungsnotiz:Ein sehr gewähltes Publikum verfolgte mit sichtlichem Vergnügen dem Vortrage des Red­ners, der sich besonders durch Eleganz und gewählte Sprache auszeichnete". 3 Das Thema der vierten Vorlesung, die für den 1. Februar angesetzt war, lautete: Tennyson und Longfellow", aber in Wirklichkeit widmete sich der Redner fast ausschließlich Tennyson, so daß ihm nur wenige Minuten am Ende übrigblieben, um beide Dichter flüchtig zu vergleichen. Vermutlich wurde Fontane beim Vor­bereiten seiner Vorlesung klar, daß er mehr als genug Material zu Tennyson hatte, um eine Stunde zu füllen. Da er aber die Namen der beiden großen Be­rühmtheiten der zeitgenössischen englischsprachigen Literatur in den Vorankün­digungen genannt hatte, mußte er den amerikanischen Dichter notgedrungen zumindest am Schluß erwähnen. Vier Wochen später aber würdigte er Longfellow eines ganzen Vortrages, dessen Text hier mit der freundlichen Genehmigung des Fontane-Archivs Potsdam der Deutschen Staatsbibliothek zum ersten Mal ab­gedruckt wird. Die anderen Vorträge sind bereits alle in der einen oder anderen Form, meist als Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, zu Fontanes Lebzeiten erschie­nen und wurden auch in die 3. Abteilung der Nymphenburger Fontane-Ausgabe aufgenommen. Nur ein kleiner Auszug aus dem Longfellow-Text ist schon unter dem Titel .Übersetzungskunst' erschienen, allerdings ohne genaue Angabe der Quelle' 5 .

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