Heft 
(1989) 47
Seite
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schreiben beginnt, wer dasselbe Herz hat für ein dänisches Volkslied und ein petrarkasches Sonett, wer heute ein Idyll beschließt im Style der Vossischen Luise 5 und morgen eine Erzählung anfängt im Style des blonden Eckbert 11 oder der Achim von Arnimschen [Krondiamanten] Kronenwächter, der mag viel Talent haben, [und eine Reihe der liebenswürdigsten Bücher schreiben, aber diese Bücher werden ihren Verfasser nur kurze Zeit überleben oder doch wenigstens nur da fortleben wo vor ihm tabula rasa war und die Wüste dankbar sein muh für jedes Samenkorn, das ihm die Winde zuführen] aber er wird gemeinhin arm sein an Originalität.

Die Gesamtthätigkeit Longfellows scheidet sich, wenn wir seinen dramatischen Versuch der den Titel führtder spanische Student" 7 bei Seite lassen, in fünf Hauptgruppen in novellistische Prosa-Arbeiten, in Epen und Idyllen, in Balladen, in Liedern und in Uebersetzungen. Die letztern sind ganz vortrefflich, wie denn überhaupt die von Vater auf Sohn vererbte Annahme, daß unter allen Nationen die Deutschen als Uebersetzer excellirten, anfängt eine höchst bedenkliche Wahr­heit zu werden. Es wird nirgends so viel übersetzt wie in Deutschland und wenn wir Lust und Muth haben uns mit der Quantität zu brüsten, so mögen wir's thun; dem eigentlichen Werth nach aber stehen unsre Uebersetzungen modernerer Dichter d. h. also der europäischen Literatur seit Dante und Petrarca durchaus nicht auf der unbedingten Höhe, wie wir's im Hinblick auf ein paar große Uebersetzer-Namen wie Voß, Wolf 8 , Tieck und Schlegel ein für allemal anzuneh­men uns gewöhnt haben. Um nur ein eklatantes Beispiel zu citiren: Walter Scott und Lord Byron warten noch immer auf (ihren eigentlichen Uebersetzer] eine entsprechende Uebertragung. Wir haben seit 50 Jahren eigentlich nur einen brillanten Uebersetzer gehabt und dieser eine ist: Ferdinand Freiligrath. Ich glaube, daß nie ein besserer existirt hat. In ihm vereinigen sich in einem merk­würdigen Grade alle die Eigenschaften, die einen Uebersetzer machen: volle Kenntniß der Sprache, großes versifikatorisches Geschick das jede Formschwierig­keit überwindet, volles Erkennen und Nachempfinden der Intentionen des Dichters und bei eigner hoher dichterischer Begabung die merkwürdige und höchst seltene Fähigkeit, die eigne Individualität dran zu geben, um die Individualität des Originals desto klarer und siegreicher hervortreten zu lassen. Nach dieser Seite hin übertrifft er unsren sonst so glänzenden Friedrich Rückert bei weitem. Rückert kann nicht zehn Zeilen übersetzen, ohne rückertsch zu werden; alle Dichternaturen aber die sich nicht selbst zum Opfer bringen können, sind mehr oder weniger unfähig auf dem Gebiet der Uebertragung, des Nachdichtens wie man es sehr richtig genannt hat, das Höchste zu leisten. [Was so gemeinhin von Uebersetzungen lyrischer und epischer Dichter bei uns erscheint ist nicht der Rede werth und weit ab davon den Ruhm zu verdienen, den wir geneigt sind so alten Traditionen zu Liebe für uns in Anspruch zu nehmen. Unsre Uebersetzungen sind entweder von fixfingerfertigen Leuten auf Bestellung gemacht, oder bloße Exercitien junger Leute, im günstigsten Falle alter Professoren.] Es fehlt uns wenigstens im Verhältnis zu England, außerordentlich an jener Klasse feingebil­deter Amateurs in der Literatur, die mit derselben Ruhe und Beharrlichkeit wie gewisse fishing gentlemen die Angelschnur ins Wasser werfen um 6 Stunden zu warten, bis der Fisch angebissen hat, so ihrerseits 6 Stunden lang warten bis sie den richtigen Reim, die einzig passende Wendung gefunden haben. (Wer brillant übersetzen will, muß viel Zeit haben und die Anekdote vom berühmten 9 Wolf der in 14 Jahren einen halben Gesang von Homer sollte jedem im Gedächt- niß sein, der sich an solche Arbeit macht.] Was man auch über die größere oder

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