Amerika „dashing appearance " 10 nennt. Cecilia und Alice pflegen mittels einer Brieftaube täglich zu correspondiren; ein Habicht 11 treibt die Taube eines Tages Schutz suchend in das Arbeitszimmer des Mr. Kavanagh; er sieht das Briefchen, auf dem der Name Cecilia steht und nimmt dies als Aufschrift und Adresse, während es doch nur die Unterschrift ist. Er benutzt die Gelegenheit und hängt der Brieftaube eine rasch hingeworfene Liebeserklärung um den Hals. Der Habicht hat inzwischen das Feld geräumt und die Taube fliegt, wohin sie geschickt war, zu Alice Archer. Diese liest den Brief Kavanaghs und weiß [nun] jetzt, daß sie ihn hoffnungslos liebt. Die Taube befördert nun den Liebesbrief an seine rechte Adresse, Alice stirbt vor Gram, Kavanagh und Cecilia aber werden ein schmuckes Paar und machen eine Hochzeitsreise von Amerika nach Italien. Dies ist der Kern der Erzählung; man würde aber unrecht thun diesen Mittelpunkt um den sich alles andre gruppirt, als die Hauptsache anzusehn. Denn Mr. Kavanagh und Cecilia Vaughan entbehren so sehr aller charakteristischen Züge, daß man froh ist zu erfahren, Kavanagh stamme aus einer katholischen Familie, sei selber Katholik gewesen und erst nach dem Tode seines Vaters zur reformierten Lehre übergetreten 12 . Das ist doch etwas. Alice Archer hat bestimmte Züge und steht in scharfer Zeichnung vor uns,- aber dieser Charakter ist nicht destoweniger durchaus unoriginal und jeder der ein halbes Dutzend [Romane] englischer oder nordamerikanischer Romane gelesen hat, wie sie namentlich seit den Tagen der Currer Bell 1 3 Mode geworden sind, wird die Erfahrung gemacht haben, das die nervöse junge Dame mit durchsichtigem Teint und wachsgleichen Händen, eine ebenso typische Figur geworden ist, wie der eifersüchtige Onkel und Vormund oder der gutmüthige Polterer in alten Komödien. Die Hauptgestalt [-figur] der Erzählung „Kavanagh" ist unbedingt Mr. Churchill der Schulmeister. Eine feine, liebenswürdige, sehr [correkte Zeichnung] correkt gezeichnete Figur, aber deutsch, jean-paul'sch in jedem kleinsten- Zug, [und ohne Spur von Selbständigkeit] ohne irgend etwas bei dem wir ausrufen könnten: oh, hier haben wir etwas speziell longfellowsches oder auch nur etwas speziell amerikanisches. Mr. Churchill [und] mitsamt seiner ganzen Familie könnte, wie er da ist, in eine deutsche Dorfgeschichte hineinversetzt werden und alles würde passen. Longfellow schildert seine Lieblingsgestalt selbst wie folgt: „die Natur hatte ihn zum Poeten bestimmt, aber sein Schicksal hatte ihn zum Schulmeister gemacht. Er mußte Grammatik vortragen, wenn er Gedichte schreiben wollte und von Jahr zu Jahr hielten ihn die kleinen Dinge des Lebens davon ab das Groß zu thun, zu dem er die Kraft in sich fühlte, aber nicht den Muth des Beginnens hatte. Er war wie das ruhige Meer in einer Bucht, das mit den Kieseln am Strande spielt und doch stark genug wäre ganze Flotten auf seiner Fläche zu tragen ." 14 Mr. Churchill will ein romantisches Epos 1 ’’ schreiben und liebt es darüber zu sprechen und Pläne zu machen; aber es bleibt beim Wollen; die Zahl seiner Kinder wird immer größer, [aber] mit der Zahl der Kinder werden die Chancen des Epos immer kleiner und schließlich ergiebt er sich darin, daß es ungeschrieben bleibt. Für alles hat er eine Erklärung und eine Entschuldigung und seine Philosophie muß ihm zu der Beweisführung dienen, daß es, so wie es ist, doch am Ende immer am besten sei. Kann es einen Charakter geben der deutscher wäre, der lebhafter an gewisse Gestalten Jean Paul's erinnerte? Die elegante, maßvolle Schreibweise, der saubre Farbenauftrag, die correkte Zeichnung, auch andre Vorzüge noch, werden einem solchen Kunstwerk immer einen bestimmten Leserkreis sichern und selbst die Kritik bestechen, aber diese Vorliebe, dies Eingenommensein kann nur so lange währen, als wir geneigt sind uns des Vergleichens zu enthalten. Es ist mit
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