Heft 
(1989) 47
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Kavanagh wie wenn wir eine Bilderausstellung besuchen, wo auch alles davon abhängt, in welcher Umgebung wir die Dinge erblicken. Fehlen die Großthaten, so ierweilen wir mit Freude vor einem Genrebildchen finden es unendlich hübsch und reizend und möchten es besitzen. Erfahren wir ja noch, daß es ein Isländer oder Finnländer gemalt hat, so sind wir vollends entzückt und rechnen es dem Bilde mit zum Verdienst an, daß es auf einem Boden wuchs/gewachsen ist, den wir gewohnt sind als eine absolute Kunstöde anzusehn. In solchem Enthusiasmus beharren wir, der eine kurz, der andre lang; ein einziger Blick aber auf einen Corneliusschen Carton gewährt uns wieder die Möglichkeit wahrer Würdigung und richtiger Rubricierung und läßt uns das (bewunderte] gefeierte Genrestück plötzlich wieder dahin stellen, wohin es gehört. Wir entsinnen uns nun, daß wir dergleichen schon hundert Male gesehen haben,- die Freude bleibt; aber die Bewunderung ist hin.

Die beiden andren Prosa-arbeiten Longfellows führen die Titel Outre-mer und Hyperion. Beides sind Reisebücher und zwar jenem besondren novellistischen Genre angehörig, (daß] seit Heine's Reisebildern in Deutschland auf etwa ein Jahrzehnt hin Mode wurde.Hyperion' zuerst 1839 erschienen, ist das spätre und beßre dieser beiden Bücher und sei deshalb hier näher besprochen. Zunächst ein paar Worte über den Inhalt. Ein junger Amerikaner, der den deutschen und deshalb etwas Verwirrung stiftenden Namen Paul Flemming führt, hat seine Braut oder Geliebte durch den Tod verloren und sucht Trost und Zerstreuung bei den Wissenschaften und Schloßruinen des alten Europa. Er kommt zuerst nach Ander­nach am Rhein, fährt dann rheinaufwärts bis Mannheim und begiebt sich von dort nach Heidelberg, wo er von seinem alten Freunde und frühren Studien­genossen dem kurländischen Baron von Hohenfels erwartet wird. Ein halbes Jahr bleibt Paul Flemming in der schönen Neckarstadt und giebt uns in einer Reihenfolge von Kapiteln theils eine Beschreibung des Heidelberger Lebens und bestimmter Heidelberger Persönlichkeiten, theils den Inhalt seiner aesthetisch- literarischen Gespräche, die er mal hier mal dort mit seinem Freunde von Hohen­fels führt. Dann bricht er auf, geht in die Schweiz und verbringt eine Saison in Interlaken. Hier macht er die Bekanntschaft eines liebenswürdigen, jovialen, vom Spleen nur leise und angenehm berührten Engländers, des Mr. Berkeley und zugleich die Bekanntschaft der schönen Miß Mary Ashburton. Er erklärt ihr sub rosa, indem er ihr am Waldesabhang ein eben erfundenes Märchen erzählt, seine Liebe, worauf sie ihm die Antwort schuldig bleibt und dadurch genugsam andeutet, daß sie seine Empfindungen nicht erwidern könne. Mr. Berkeley will den unglücklichen Liebhaber trösten und versichert ihm, daß er in 3 Monaten herzlich froh sein würde diese kleine Niederlage erfahren zu haben; aber aller Zuspruch will nicht helfen und Interlaken, wo's ihm unter den Füßen brennt, wird verlassen. Er geht nach Tyrol, macht in Innsbruck 10 ein Nervenfieber durch, besucht St. Gilgen und St. Wolfgang, hört auf der Heimreise in einem Stuttgarter Gasthof noch einmal die Stimme Marie Ashburtons, die Wand an Wand mit ihm wohnt, kämpft zwischen Liebe und Stolz und kehrt dann, ohne die Geliebte noch einmal gesehen zu haben, nach Amerika zurück. Das ist der Inhalt des Buchs. Die zweite Hälfte (des Buchs] desselben: der Aufenthalt in der Schweiz und in Tyrol ist beinah langweilig, nur einzelne feine Bemerkungen und Vergleiche die Vorkommen, [wie] außerdem (der] die frische, humoristische Gestalt des Mr. Berkeley machen es lesbar. Um so interessanter, wohlthuender, liebenswürdiger ist die erste Hälfte, wo wir den Heidelberger Aufenthalt und das Zusammenleben der beiden Freunde haben. Diese ersten hundert Seiten wimmeln von glücklichen

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