Heft 
(1989) 47
Seite
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der englischsprechenden Welt als beliebter Reiseführer durch Deutschland gedient hat. Sie hatte überhaupt viel Erfolg beim Publikum, nur nicht bei Fanny Apple­ton, die recht verblüfft gewesen sein muß, als sie die Geschichte ihres eifrigen Liebhabers, seiner impulsiven poetischen Werbung um sie und seiner vollkom­menen Überwindung ihrer Absage schwarz auf weiß nur kurze Zeit nach den Ereignissen vorfand. Longfellow mußte diese naive Taktlosigkeit durch jahre­lange Werbung büßen. Die Erzählung ist eine eigentümliche Mischung von unter­schiedlichen künstlerischen Darstellungsmitteln, die durch das erlebende Medium des Helden nur lose verbunden sind. Die Kapitel über Goethe und Jean Paul sind aus Longfellows Vorlesungen an der Universität Harvard übernommen. Kapitel IV. im vierten Buch besteht aus einer wortwörtlichen Übersetzung von Hoffmanns Erzählung Johannes Kreisler, des Kapellmeisters, musikalische Leiden bis auf den Teil, der von der Liebe handelt, da der enttäuschte Liebhaber diese Stelle wohl zu schmerzhaft gefunden hat. In die epische Darstellung werden im­mer wieder Gedichte einbezogen, die unterschiedliche Funktionen haben; so wirbt Paul Flemming um Mary mittels eigener Übersetzungen von deutschen Gedichten. Daß viel geredet und wenig gehandelt wird, stört den werdenden Romanautor Fontane freilich nicht. Die eigenen Romane sollten immer wieder bei gemütlichen und anregenden Gesprächen verweilen. Die Strukturlosigkeit und Empfindsamkeit waren ihm weniger akzeptabel.

Jean Pauls großer Einfluß auf die exzentrische Zusammenstellung des Werkes ist unverkennbar, aber neben ihm waren die wichtigsten literarischen Vorbilder nicht Heines Reisebilder, sondern Goethes Wilhelm Meister und Washington Irvings Sketch Book (1820). Hyperion ist ein Entwicklungsroman deutscher Herkunft, in dem gezeigt wird, wie man sich, durch Leiden geläutert, mit Resignation, aber auch mit Hoffnung gestärkt der Zukunft zuwenden kann. Das Buch weist viele romantische Züge auf die Betonung des Gefühlslebens, die Vermischung von Prosa und Dichtung, Schwärmerei für Natur und exotische Ferne (Deutschland!). Nach dem Tod seiner ersten Frau fand Longfellow bei den Dichtern der deutschen Romantik, vornehmlich Novalis, Trost. Den Titel seiner Gedichtsammlung Voices of the Night (1839; Stimmen der Nacht), verdankt er zweifellos Novalis Hymnen an die Nacht. Durch intensive Studien, denen er sich z. B. in Heidelberg widmete, versuchte Longfellow, seinen persönlichen Verlust zu überwinden. Dabei wurde seine Beschäftigung mit der deutschen Literatur von ihren Anfängen an gleichsam zum seelischen Erlebnis und zum entscheidenden Schritt in seiner Entwicklung zum reifen Dichter. Thompson behauptet:Seine Liebe für die Romantische Dichtung Deutschlands, lehrte ihn, den Schwerpunkt seiner Existenz auf die Sprache des Gefühls zu verlagern, in der seine eigentliche dichterische Kraft lag 41. Aus diesen persönlichen Erfahrungen heraus entstand das erste wichtige Werk, wodurch deutsches Leben als auch deutsche Literatur in Nordamerika bekannt wurde. Literaturhistorisch und kulturgeschichtlich ist dieser Roman von großer Bedeutung.

In den drei von Fontane erwähnten epischen Dichtungen kam er dem Bedürfnis seiner Landsleute nach einer heimischen literarischen Tradition bewußt entgegen. In diese Schaffensperiode fällt auch das Versdrama The Golden Legend (1851), das, im mittelalterlichen Europa spielend, mit Hartmanns Der arme Heinrich und Goethes Faust Verwandtschaft aufweist' 12 . Fontane scheint dieses Werk nicht gekannt zu haben, was gut möglich ist, da es den überragenden Erfolg der ande­ren nicht genoß. Obwohl alle drei Werke nordamerikanische Stoffe behandeln und Landschaftsschilderung in ihnen eine erhebliche Rolle spielt, kam Longfellow

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