Heft 
(1989) 47
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in der Nachglut einer dramatischen Lesung von etwas schon Bekanntem, aber durch seinen Vortrag Geschätzterem angenehm berührt und befriedigt nach Hause zu schicken46 .

Im Gegensatz zu dem schnell hingeworfenen Urteil, das Fontane am Ende seines Tennyson-Vortrages fällt, wirken die Meinungen, die er hier äußert, wohlüberlegt und ausgewogen. Bemerkungen zu Longfellows Ekletizismus, zu der Bedeutung des Hexameters bei ihm und zum Wert seiner Übersetzungen gelten heute noch, so wie sein Gesamturteil über Longfellow als Dichter zweiten Ranges. Sein Pau­schalurteil, daß diebesten Longfellowschen Arbeiten ein Echo unsrer eignen Literatur [sind]", läßt sich aber bezweifeln. In ihrer Untersuchung sieht Anna J. DeArmond die Formlosigkeit der Prosawerke als bedauerliches Ergebnis seiner Kenntnisse von Goethe und Jean Paul, und von letzterem scheine er neben einem Mangel an intellektueller Strenge auch einen gewissen nichtssagenden Welt­schmerz in manche seiner lyrischen Gedichte übernommen zu haben. Sie kommt daher zum Schluß, daß die Wirkung deutscher Literatur auf Longfellow nicht als reiner Gewinn zu betrachten sei'4 8 . Wenn man davon absieht, daß seine Prosawerke inzwischen von rein historischem Interesse sind, aber einige seiner späten Ge­dichte, z. B.Keramos" undMorituri Salutamus", heute vielleicht eher Beachtung verdienen als die noch bekannterenExcelsior" und Hiawatha, dann haben die Werke Longfellows, die nach 1860 erschienen sind, wenig an der allgemeinen Gültigkeit von Fontanes Urteil geändert.

Im ganzen bezeugen Fontanes Äußerungen eine breite und ziemlich detaillierte Vertrautheit mit den Werken des amerikanischen Autors. Er bewertet das künst­lerische Schaffen seines Dichterkollegen mit feinem literarischem Gespür, wägt dessen Verdienste und Mängel in einer differenzierten Wertung und ohne einen Anflug von Neid gegenüber dem erfolgreicheren Autor wohltuend ab. Fontane bleibt in seiner kritischen Betrachtungsweise nach wie vor großzügig ein .perfect gentleman'.

Anmerkungen

1 Die Vorlesungen waren folgende:

11. 1., Whigs and Tories

18.1 Englische Historienmalerei 25. 1., Englische Presse und Times

1. 2., Tennyson und Longfellow

8. 2., Das schottische Hochland und seine Bewohner 15. 2., Altenglische Balladen 22. 2., Schottische Volkslieder 29. 2., Longfellow

7. 3., Oxford und die englischen Universitäten 14. 3., Melrose Abbey und Abbotsford

2 Brief vom 21.12. 1859, in: Theodor Fontane, Briefe, hg. von K. Schreinert und C. Jolles, Berlin 1968, Bd. 1.

3 In: Vossische Zeitung vom 13. 1. 1860.

4 Theodor Fontane, Aufzeichnungen zur Literatur, hg. von H.-H. Reuter, Berlin 1969, S. 17374, wiederabgedruckt in: Nymphenburger Fontane-Ausgabe Bd. 21/2, München 1974, S. 464-65. NFA, Bd. 21/2, S. 703 enthält die Infor­mation, daß der Longfellow-Vortrag in einer Abschrift von Emilie Fontane im FAP vorliegt. Das Manuskript ist aber eindeutig von Theodor Fontanes Hand. Die später mit Bleistift gekennzeichnete Stelle im MS fängt an:Es wird nirgends so viel übersetzt ..." und geht bis . .. fallen hier mehr zu­sammen als irgend wo anders."

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