als Schlenthers produktivstes Fontane-Jahr zu charakterisieren. 5 Ihre innere Verbundenheit kommt darin zum Ausdruck, daß Schlenther bei der Geburtstagsfeier im „Englischen Hause" in Berlin die Funktion eines Zeremonienmeisters inne- hatte. 1 ’
Auf Grund des freundschaftlichen Verhältnisses zwischen Theodor Fontane und Paul Schlenther — es war eine Freundschaft, die Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der gesellschaftlichen Aufgaben der Dichtung keineswegs ausschloß — lag es auf der Hand, daß Paul Schlenther auch den 1892 erschienenen Roman Frau Jenny Treibel ausführlich in seiner eigenen Zeitung, der Vossischen Zeitung, besprechen sollte. In der Tat handelt es sich bei Schlenthers Rezension von Frau Jenny Treibel um weit mehr als nur um eine „Anzeige", als welche diese Besprechung in der bisherigen Forschung gewertet wurde. 7
Aus Fontanes Briefen an Paul Schlenther und seine Gattin Paula Schlenther- Conrad wissen wir, daß Fontane den jüngeren Freund und Kollegen nicht nur in seine Gedanken über Kunst und Gesellschaft, sondern auch in den Fortgang seiner Arbeit und in seine literarischen Pläne einweihte. So schrieb er am 26. April 1888 an Schlenther über die an Stine geplanten Korrekturen und dazu über seine Arbeit an einem Roman, der in diesem Stadium der Entstehung noch den Titel Frau Commerzienräthin oder Wo sich Herz zum Herzen find't trägt: „An ,Stine' (so heißt die Novelle) bin ich noch nicht herangegangen, weil es mich so sehr drängt, das fertig zu schreiben, was ich jetzt gerade unter der Feder habe: .Frau Commerzienräthin oder Wo sich Herz zum Herzen find't', eine humoristische Verhöhnung unserer Bourgeoisie mit ihrer Redensartlichkeit auf jedem Gebiet, besonders auf dem der Kunst und der Liebe, während sie doch nur einen Gott und ein Interesse kennen: das goldene Kalb."8
Diese Briefpassage weckte ohne Zweifel Schlenthers Neugier und bewirkte seine Vorfreude auf die „humoristische Verhöhnung". Schlenthers Rezension von Frau Jenny Treibel erschien in der Königlich privilegirten Berlinischen Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, der Vossischen Zeitung also, Nr. 557 vom 27. November 1892, Sonntagsbeilage Nr. 48:
„Theodor Fontanes neuer Roman
Frau Jenny Treibel oder Wo sich Herz zum Herzen find't, der Roman, den Theodor Fontane zu diesen Weihnachten im Verlag seines jüngsten Sohnes hat erscheinen lassen, ist mehr als irgend ein früherer satirischen Charakters, und es versteht sich von selbst, daß, wo Fontane satirisch wird, keine Galle, keine Lauge verspritzt wird, sondern der gute Humor sein Spießgeselle ist. Diesmal ist der Humor nun ganz besonders gut gerathen und könnte helfen, daß diejenigen, gegen die sich die Satire richtet, nicht allzuschwer bluten. Aber freilich richtet sich die Satire gegen eine breite Mittelschicht, der nicht die Schicksalsgnade gegeben ist, sich über einen feinen Spott auch dann noch zu freuen, wenn er gegen sie selbst geht. Die Satire richtet sich auf gewisse Eigenheiten unsrer modernen großstädtischen Bourgeoisie.
Eine der Prachtgestalten des Romans, diejenige, die am meisten im Schatten des Dichters wandelt und Worte aus seiner Seele spricht, der alte wunderlich be- grenzte und doch ganz frei blickende Gymnasial-Professor Wilibald Schmidt erklärt seiner Tochter Corinna: „In eine Herzogsfamilie kann man allenfalls hineinkommen, in eine Bourgeoisfamilie nicht. Und wenn er, der Bourgeois, es auch wirklich übers Herz brächte — seine Bourgeoisie gewiß nicht, am wenigsten