Heft 
(1989) 47
Seite
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von eignen Gnaden herrscht, bei Schinkenstulle und Thee und nur manchmal, wenn die Freunde kamen, bei Oderkrebsen und Moselwein. Corinna ist noch nicht soweit. Dieser jungen Dame hängt noch ein Kinderschuhchen am kleinen Zeh, und es steht ihr reizend:ich halt es mehr mit Bonwitt und Littauer als mit einer kleinen Schneiderin, die schon um acht Uhr früh kommt und eine merk­würdige Hof- und Hinterstubenatmosphäre mit ins Haus bringt, und zum zweiten Frühstück ein Brötchen mit Schlackwurst und vielleicht auch einen Gilka kriegt." Ach, als Corinna zu ihrem betrübten Vetter Wedderkopp, dem Mädchenhilfslehrer, diese denkwürdigen Worte sprach, wußte sie noch nicht, daß Bonwitt und Littauer vergehn, kleine Schneiderinnen aber bei Schlackwurst und Kümmel bestehn. Und eben so wenig wußte sie, daß Leopold Treibel vergeht und Vetter Wedderkopp besteht. Sie läßt es richtig auf einer Grunewaldpartie zur Verlobung mit dem guten Leopold kommen. Und Frau Jenny Treibel, die noch eben am Arme ihres Wilibald von Halensee bis Paulsborn in Wehmuth geschwelgt hat, sieht sich plötzlich mir nichts dir nichts zu nachtschlafender Zeit vor die Frage gestellt: soll ihr Leopold mit dem Töchterchen des Jugendgeliebten das Glück finden, das sie, die übrigens ganz glückliche Gattin Treibels, einst verscherzt zu haben, immer durchfühlen läßt?

Nun, sie ist außer sich. Corinnchen wird ihr im Handumdrehen zu einer ganz gefährlichen, ganz gräßlichen Person, überhaupt zu einerPerson". Und dann schon lieber noch eine zweite Hamburger Schwiegertochter, denn die hat wenig­stens Geld und Gut, mehr fast als Treibels selbst. Frau Jenny vergißt ihr Sprüchlein von den Herzen, die sich finden, und wird ausnehmend praktisch und resolut. In der Wohnung ihres Schmidt, gegenüber dem väterlichen Kolonial­geschäft, wird die empfindungsvolle, schöngeistige Dame sogar höchst grob; gröber noch als einst drüben die Kaffeesäcke ihres Vaters Bürstenbinder. Weder Wilibalds feine, ruhig überlegene Ironie, noch Corinnas scharfe Schlagfertigkeit ist ihrem plötzlich aus dem Innern brechenden Banausenthum verständlich; ein Marktweib kann zwar ehrlich roher, aber nicht (in jedem Sinne des Worts) ungemüthlicher sein. DieBourgeoise" ist entlarvt. Und, von Leopold selbst gar nicht zu reden, auch Treibel muß, wie sie will; oder eigentlich, trotz anfäng­licher Honorigkeitsanwandlungen, er will, wie er muß; auch ihm ist eine Munck lieber als eine Schmidt; denner war doch auch seinerseits das Produkt dreier im Fabrikbetrieb immer, reicher gewordenen Generationen, und aller guten Geistes- und Herzensanlagen unerachtet und trotz politischen Gastspiels auf der Bühne Teupitz-Zossen der Bourgeois steckt ihm wie seiner sentimalen Frau tief im Geblüt".

Durch nichts kann Corinna von ihrer Reichthumslaune besser bekehrt werden als durch das plötzliche Wildwerden ihrer alten Gönnerin Jenny, die nun auch ihreine schreckliche Frau" ist. Diese proletarische Geistesaristokratin rechnet gründlich ab mit derBourgeoise" und heirathet einen geistesaristokratischen Proletarier, ihren stillvergnügten Vetter Wedderkopp, der das Gold im Herzen hat: neben der Schutzmannswittwe Schmolke die echteste, treuherzigste Natur im Roman. Er wird die verirrte Schöne gute Wege leiten.

Heute Abend freilich hat er sie auf der Hochzeitsreise erst bis Trebbin geführt, und bei Huster steigt dem Rest der Hochzeitsgäste noch der Champagner zu Kopfe. Am meisten dem glücklichen alten Papa Wilibald, der sich in köstlichster Weinlaune mit entzückender Grausamkeit das Lied seiner Freundin JennyWo sich Herz zum Herzen find't" noch einmal Vorsingen läßt und dann mit etwas, lallender Zunge allerlei Weisheitssprüche thut:Für mich persönlich steht es fest.

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