Heft 
(1989) 47
Seite
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Natur ist Sittlichkeit und überhaupt die Hauptsache. Geld ist Unsinn. Wissen­schaft ist Unsinn, alles ist Unsinn. Professor auch. Wer es bestreitet, ist ein pecus. Nicht wahr Kuh .. . Kommen Sie, meine Herren, komm' Krola . . . Wir wollen nach Hause gehen."

Wenn sich der alte Schmidt am andern Morgen den Schädel befühlt, wird er als ehrsamer Professor am Gymnasium vom Heiligen Geist mancherlei revoziren, und der alte Fontane, der auch nicht sehr für Allgemeinsätze und Gesammtver- dicte, kurz nicht fürs Summarische ist, wird ihm dann Recht geben. Aber den Temperenzlern zum Tod und zum Trotz, schon darum lebe der Rausch, schon darum ist auch er etwas wie ein heiliger Geist, daß er zuweilen mit Engelzungen reden und eine grobe, enthusiastische Wahrheit verkünden läßt, die nur deshalb nicht wahr ist, weil unzählige kleinere nüchterne Wahrheiten dagegen sprechen.

Und ähnlich wie mit dem Rausch, ist es auch mit der Narrheit. Frau Jenny Treibel ist keine Närrin, denn bei allem Gethue und Geziere weiß sie genau, was sie will, und ist ganz verrucht weitläufig. Sie wird noch Geheime Kommerzienräthin und Taler-Millionäserin werden. Der Einzige, der das hätte hindern können, ist Vogelsang, Lieutenant a. D. Denn der ist ein wirklicher Narr, ein Don Quichote, freilich ohne rechtes Herz im Leibe. Er ist es, der auf jener politischen Bühne Teupitz-Zossen die Intrigantenrolle spielt neben Treibel, der sich in der Helden­rolle des Reichstagskandidaten gefiel. Wie manche Männer des praktischen Lebens, hat auch der gute Treibel seinen Tollpunkt. Ohne eine Ahnung von Politik zu haben, will er ins Parlament und sucht sich dazu als agitatorischen Mittelsmann den Narren Vogelsang aus, der ihn ins Gespött der Nationalzeitung und beinah in Teufels Küche bringt. Es ist ein Naturspiel, daß Treibels sentimen­tale Frau diesen Wahlschwindel viel eher durchschaut als er selbst, der erst durch Schaden klug wird. Da Herr Treibel in seiner politischen Unschuld allen Parteien fern steht, so fällt er auf eine Partei hinein, die nur im Gehirn des Lieutenant a. D. Vogelsang existirt: auf dieroyaldemokratische" Partei. Ein freier Fürst! Ein freies Volk! Fort mit den Mittelschichten! Fort vor allem mit dem schlemmenden Hofadel, der sich zwischen Volk und Fürst drängt! Wie weit die Bourgeoisie zum Volke oder zu den verwerflichen Mittelschichten gerechnet wird, bleibt eine der vielen Unklarheiten dieser politischen Weisheit. Da Vogel­sang bei Treibels gut dinirt, so drückt er hier ein Auge zu. Stellt man aber statt des Adels die Bourgeoisie zwischen Volk und Fürst, so steht vielleicht den Narre- theien Vogelsangs der Traum des Dichters nicht viel ferner als den Rauschreden Wilibald Schmidts,- und vielleicht ironisirt er mit jenen wie mit diesen nichts weiter als sich selbst; in jener feinen, überlegenen, humoristischen Selbstver­spottung, deren nur die erlesensten Geister fähig sind und die zugleich sich behauptet, indem sie sich preisgiebt. Denn literarisch genommen, ist Theodor Fontane Royaldemokrat, freilich noch richtiger Oligodemokrat durch und durch. In der Nähe des Thrones und in den Tiefen des armen arbeitenden Volkes hat er seine besten Gestalten entdeckt. Sinnbildlich dafür ist das herzergreifende Verhältniß des Edelmannes mit der Plätterin in dem unvergleichlich ernsten und guten RomanIrrungen, Wirrungen", an dessen Ernst und dessen Güte nicht einmal die prachtvolleFrau Jenny Treibel" heranreicht. InFrau Jenny Treibel" macht statt des Edelmannes der Bourgeois eine weit bedenklichere Figur. Aber das Volkskind in seiner derben Gesundheit, in seinem geraden Empfinden ist auch hier da. Freilich kein Kind mehr, sondern ein altes Weib in aller Altweiber- haftigkeit, aber im Besitze dessen, was nach Wilibald-Fontane die Hauptsache ist, im Besitze der Natur. Es ist die Wittwe Schmolke, die Perle des Romans. Ihre

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