letztlich ohne jede Wirkung bleibt: die Gräfin nimmt sich erst ihres unehelichen Enkelkindes an, als es zu spät ist, dessen Schicksal noch positiv zu beeinflussen (209); Herr von S. kann (will?) nicht einmal verhindern, daß Friedrichs Leiche auf dem Schindanger verscharrt wird (528).
Droste-Hülshoff wie auch Fontane porträtieren die von ihnen kritisierte Gesellschaft, in deren Mitte ein Mensch zum Verbrecher wird, bei einem geselligen Anlaß. Solche Anlässe sind mehrfach einem Akt des Grauens vorangestellt. Friedrich Mergel erlebt den flüchtigen Triumph gesellschaftlicher Anerkennung und Zugehörigkeit auf dem Hochzeitsfest, wird aber eben dort auch zutiefst gedemütigt (510—513). Die Hochzeitsgesellschaft wird mit viel Ironie beschrieben (510), ebenso das Paar (512). Zunächst läßt sich alles von Friedrich mitreißen, dann folgt „das allgemeine Gelächter" auf Johannes' Butterdiebstahl, der Friedrichs „Würde . . . verletzt" (512), und schließlich nach dessen Auseinandersetzung mit Aaron „tobte . .. [die Tenne] . . . von Gelächter" (513). Die Schadenfreude gilt Friedrich ebenso wie dem Juden („Wiegt ihn gegen ein Schwein!" 513). Die Distanz zu den Dorfbewohnern ist offenkundig, doch läßt sich die Haltung des Erzählers hier nicht ohne weiteres mit der des Gutsherrn identifizieren, denn die Anspielung auf den „Wunsch, seine Popularität aufrechtzuerhalten" als Beweggrund für seine Anwesenheit bei einer solchen Festlichkeit schließt diesen in die Kritik mit ein (513).
In Unterm Birnbaum läßt Fontane seinen Protagonisten in ähnlicher Weise von der Höhe gesellschaftlichen Triumphes stürzen. Ein langer geselliger Abend bei Wein und Anekdoten geht dem Mord an Szulski voraus (Kapitel 5). Hier hält sich Hradscheck noch zurück und überläßt das Erzählen seinem Gast aus Polen, der es genießt, die Sensationsgier der Tschechiner zu befriedigen. Ihre Reaktionen zeigen schon hier dieselbe Klatschsucht verbunden mit einem Mangel an menschlicher Teilnahme, die sie später im Verlauf des Verfahrens gegen Hradscheck und beim Tode seiner Frau zur Schau stellen. Szulski selbst entlarvt sich durch seine Versicherung „Kein Pole schneidet auf, das verachtet er." (478), denn kurz zuvor ist dem Leser mitgeteilt worden, daß er „eigentlich ein einfacher Schulz aus Beuthen in Oberschlesien war" (476).*' Später jedoch feiert Hradscheck selbst Triumphe als Anekdotenerzähler, versteht es wieder, eine prekäre Situation zu seinen Gunsten zu wenden, und scheint ganz in den Kreis der Tschechiner aufgenommen zu sein (538—541). Diese Situation, in die er durch Edes Gespensterfurcht gebracht wird, festigt seinen Entschluß, Szulskis Leiche zu beseitigen, und dabei kommt er um (548—549). Die genaueren Umstände seines Todes läßt der Erzähler im . Dunkeln wi e in der Judenbuche wird nur die Leiche gefunden Auch der Heidereiter in Ellernklipp verbringt den Tag vor seinem Selbstmord auf der Suche nach Geselligkeit in Ilseburg (196). Beim Freischießen empfängt ihn eine „angeheiterte [. . .] Gesellschaft mit einem Hoch" (199), welche ihm zunächst schmeichelt und dann mit Schadenfreude auf seine Fehlschüsse reagiert, woraus deutlich wird, daß es an der wahren menschlichen Anteilnahme auch hier fehlt. Auf dem Heimweg, als ihn sein Schuldbewußtsein einholt, versagt sein Begleiter, „dem es unheimlich geworden war", vor der Situation und läßt ihn allein (203).
Die angeführten Beispiele haben gezeigt, daß Paul Schlenthers Unterm Birnbaum gespendetes Lob: „hier umspielt und begründet den verbrecherischen Fall ein soziales Zeitbild" 111 sich ebenso auf Fontanes andere Kriminalgeschichten und Droste-Hülshoffs Die Judenbuche anwenden läßt. Das „soziale Zeitbild' blieb Fontanes Anliegen während seiner ganzen schriftstellerischen Laufbahn, und viele
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