Parallelen beschränkt, verblüfft die gedankliche Nähe: die selben Dichternamen fallen, die Volksdichtung erscheint unter verwandter Charakterisierung und mit Bürger wird das von Fontane gesetzte Maß auf ihn selbst bezogen. Für Franz Kugler ist Fontane der Bürger „unserer Tage". Sich in Fontanes konzeptionellem Modell bewegend, sieht Kugler in dessen Balladenschaffen die Vollendung des von Bürger Begonnenen. Nicht in dem von Zeitgenossen favorisierten Genre des Liedes oder der dramatischen Gattung glänzt Fontane, sondern in der Kunst der Ballade. Theodor Storm, der seinen Aufsatz über Fontane (1855) eher aus diesem Poesieverständnis heraus schrieb, kommt zu ähnlichem Vergleich. „Trotz der geistigen Verwandtschaft ist es . .. nicht sowohl Schiller, der in der Periode des Werdens als Vorbild auf den Dichter eingewirkt hat, als vielmehr der seiner Natur viel ferner stehende Bürger, unter dessen Einfluß und in dessen Weise er die stillen Trauerspiele am Hof und Herd und aus dem täglichen Leben darzustellen gesucht hat." 19
Was Kugler in bezug auf das Voranbringen der Volksdichtung zu höchstem Lob veranlagt — „daß ich Aehnliches in unserer Literatur überhaupt nicht nachzuweisen wüßte" — ebnet Storm ein. Kugler erkennt in Fontane auf diesem Gebiet den national bedeutsamen Dichter. Neben die Balladen stellt er die „ Preußenlieder", die Fontane den ersten Ruhm eingebracht hatten. Kugler beschränkt sich auf eine knappe, aber beziehungsreiche Wertschätzung: „volksthümlich kräftig und künstle- rich durchgebildet". Die poetische Leistung hat dieselbe Quelle wie die der Balladen. Mit dem Hinweis auf das Dessauer-Gedicht läßt Kugler es bewenden. Er sieht sich nicht genötigt zu erwähnen, daß der Hauptteil der Preußenlieder der Zeit vor 1848 entstammt. Unbewußt bestätigt er Fontane, was dieser mit den Gedichten gewollt hatte: „Meine Aufgabe beim Niederschreiben aller dieser Gedichte war nur die, den poetischen Ausdruck für das zu finden, was bereits im Mundes des Volkes lebt, und in diesem bescheidenen Sinne wag' ich sie volksthümlich zu nennen. 20 Dem Schluß des Liedes („Verschnittnes Haar im Schopfe/ macht nicht allein den Mann:/ Ich halt es mit dem Zopfe,/ Wenn solche Männer dran.") wird dichterische Meisterschaft bescheinigt: Auf die „ironische Antithetik" der Verse 21 nimmt Kugler nicht Bezug. Sein Urteil deckt sich mit dem, was die Fontane-Forschung ein Jahrhundert später fällen wird. Fritz Martini, um nur ein Beispiel zu nennen, sieht in Fontanes Preußenliedern „eine Form des vaterländisch-politischen Liedes" verkörpert, „das dem Volk zugänglich war und bewußtem, fast virtuosem Künstlertum entstammte." 22 Diese Qualität — einschließlich ihres selbstverständlich genommenen ideologischen Hintergrundes — ist Kugler nicht entgangen. Er hebt sie hervor und läßt sie für sich sprechen.
Ohne unnötig ausführlich zu werden, plaziert Kugler Fontane in das zeitgenössische literarische Leben, wie er es beurteilt, und räumt ihm dort eine Spitzenstellung ein. Die Erwähnung des Tunnels und Fontanes Kreditwürdigkeit in ihm fungiert als zusätzliches Indiz dafür. Im Einklang mit Fontanes Bemerkungen im Aufsatz für die „Deutschen Annalen" bestreitet Kugler nicht uneingeschränkt die qualitative Bedeutung der gegenwärtigen Literatur. Otto Roquettes „Waldmeisters Brautfahrt" war in aller Munde, Paul Heyse verzeichnete erste Erfolge und Geibel wie Scherenberg konnten als durchgesetzt und anerkannt gelten. Die Gegenwartsliteratur ist Kugler nicht wie bei Gutzkow, Prutz oder Weerth niveau- und bedeutungslos. In jene Schriftstellerliste wird Fontane eingereiht — er ist in ihr als Dichter, den anderen zumindest ebenbürtig, präsent. Eine kritische Bestandsaufnahme, wie sie Weerth wenige Jahre zuvor formuliert hatte — „Gelb- Veiglein, Rosen und Tränen sind wieder an der Tagesordnung, die deutschen
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