Frauenzimmer lesen wieder à mort, und die Mittelsorte Adolf Stahr, Geibel, Hackländer, Kinkel, Hauenschild dominieren .... Die Literaten haben wieder Chancen, man könnte kein besseres Geschäft machen, als Liebeslieder zu schreiben und sie unter einem gräflichen Namen drucken zu lassen" 23 — liegt Kugler fern. Er differenziert nach anderem Maß und zeigt seine programmatische Affinität zum Tunnel, mehr noch zum Rütli-Kreis. Fontane wird einrangiert in ein nicht-elitäres und nicht parteipolitisches Kunstkonzept. Jungdeutsches Ideengut, das Karl Gutzkow mit dem Stichwort von der „modernen, sozialen Poesie" 24 in öffentlicher Auseinandersetzung reaktivieren möchte, findet im Empfehlungsschreiben ganz selbstverständlich keine Beachtung. Einer Orientierung auf Dichtung, die soziale Ideen exemplifiziert, steht Kugler distanziert gegenüber. So bleibt auch Fontanes frühere Neigung, sich dieser Richtung anzuschließen, unerwähnt. Vertrauter sind Kugler Überlegungen, wie sie Julian Schmidt zeitgleich äußerte. Sie verbinden sich mit der Vorstellung vom Dichter und seinem Zeitverständnis. Vergegenwärtigt man sich diesen Sachverhalt, wundert es nicht, daß Kugler mit gesonderter Ausführlichkeit auf die sozialen Momente des Poetentums Fontanes eingeht. Schmidt erläuterte beispielsweise im 3. Band seiner „Geschichte der deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert" in jenem als Vorrede gedachten Brief an Gustav Freytag seine Auffassung vom Dichter: „Bei uns hatte sich die Idee festgesetzt, das Kennzeichen eines Dichters sei die Krankheit, die ewige Verstimmung, die Selbstvergötterung, der Weltschmerz; aber ich habe nie daran geglaubt, ich war stets der Ueberzeugung, der Dichter unterscheide sich nur dadurch vom gewöhnlichen Menschen, daß er die Gegenstände lebhafter, reiner und idealer sehe." Und abschließend: „Ein Dichter ohne Lust am Leben, ohne erhöhtem Sinn für die Wirklichkeit, und was damit zusammenhängt, ohne Fülle des Gemüths habe ich mir nie vorstellen können." 23 Diesen Dichter, dieses Bild vom Poeten hat Kugler vor Augen, wenn er Fontanes tiefen Ernst im Dichten Emil Illaire darstellt. Trotz der Miserabilität der Lebensumstände und der lebensbedrohenden Erkrankung erscheint Fontane hingegeben an die seine subjektiven Interessen übersteigende Berufung durch die Poesie. Poesie als ernsthafte Arbeit zu begreifen bildet die Brücke zum äußeren Erscheinungsbild, das Kugler andeutet. Fontane wird als durch und durch respektabel beschrieben. Seine Gesellschaftsfähigkeit wie die Begabung zur Geselligkeit empfehlen ihn der Präsentation. Dem von Schmidt abgelehnten Dichtertypus hing darüberhinaus ein subversiver Zug an, der, verursacht durch die Bindungslosigkeit, latent politische Gefahr ausstrahlte oder dem doch zumindest tatsächliche Würdigung staatlicherseits kaum zustand. Gleichzeitig reagiert Kugler auf eine Gegensätzlichkeit, die die geläufige Vorstellung vom Schriftsteller prägte: das konträre Verhältnis des Poeten zum Literaten. „War für den Poeten die Abhebung seiner Texproduktion vom Broterwerb kennzeichnend, so für den Literaten im Gegenteil ihre Unterordnung unter den Verwertungszweck." 26 Dem Literaten haftete, falls er zur Gruppe der „literarischen Pauper" gehörte, der Ruf von „Käuflichkeit und Gesinnungslumperei"" 27 an. Die unmittelbar prüfbaren Entwicklungsschritte Fontanes — mangelhafte Schulbildung, kein Reifezeugnis, kein Universitätsstudium, Arbeit für einige Zeitungen — konnten den Verdacht nahelegen, daß Fontane gerade dieser Gruppe zuzuzählen sei. Dem arbeitet Kugler entgegen. Fontanes Arbeit an der Preußischen (Adler) Zeitung charakterisiert er als eine vorübergehende, durch die materielle Not erzwungene Tätigkeit: feststeht — Fontane ist „doch kein Zeitungsschreiber, kein Journalist." Da der Dichter diese Anstellung direkt dem König verdankte, hält sich Kugler in der Wertung zurück und betont die für Fontane gewonnene Zeit zur künstlerischen
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