INTERPRETATION / LITERATURGESCHICHTE
Beatrix Müller-Kampel, Graz
Fontane dramatisiert.
Franz Pühringers „Abel Hradscheck und sein Weib"
Die literaturkritische und literaturwissenschaftliche Kanonbildung ist am steirischoberösterreichischen Schriftsteller Franz Pühringer (1906—1977) beinahe spurlos vorübergegangen — Standardlexika und regional auf Österreich spezialisierte Literaturgeschichtsforschung widmen dem Verfasser von Dramen, Gedichten und Puppenspielszenarien bestenfalls einige wenige (und nicht selten so mangel- wie fehlerhafte) Zeilen und setzen an die Stelle kommentierender Information auch wohl einmal unterschwellige Häme 1 oder moralisierende Bewunderung 2 . Der Mangel an Ausgaben, gesicherten biographischen oder rezeptionshistorischen Daten und Fakten läßt es als kaum verwunderlich erscheinen, daß Franz Pühringers Drama „Abel Hradscheck und sein Weib", wiewohl am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg uraufgeführt, der Fontane-Forschung bislang verborgen geblieben ist:
Zur Entstehung des Stücks
Laut T. M. Pühringer-Seidelmann haben „merkwürdige Kriminalfälle und Begebenheiten (...] immer das Interesse Franz Pühringers gefunden. Aus dem Werk Fontanes, den er sowohl als Dichter wie als Mensch in seinen Briefen schätzte, liebte er besonders die .Wanderungen durch die Mark Brandenburg'. Er hatte die Umgebung Berlins aus eigener Anschauung und in sehr jungen Jahren kennengelernt. Es war sein erster Auslandsaufenthalt. Es fesselten den Dramatiker an diesem Buch wohl das Historische, so unspektakulär erzählt, wie den Naturlyriker die schönen stillen Landschaftsbeschreibungen." 3
Pühringer selbst versichert, „Unterm Birnbaum" habe ihn „jahrelang nur als Leser" gefesselt, bevor er „eines Tages plötzlich der Versuchung nicht mehr widerstehen konnte", den Stoff der Novelle „aus ihrer ursprünglichen, der epischen Dichtungsart in ein Werk der dramatischen umzudenken"/ 1 Über die tatsächliche Abfassungszeit von „Abel Hradscheck und sein Weib" geben die bislang gedruckten Quellen keinerlei Auskunft.
Der Text
HANDLUNGSVERLAUF: 1/1. Im Wirtshaus Abel Hradschecks in Tschechin. Der Wirt und Kaufmann Abel Hradscheck hat sich hoch verschuldet, deutet jedoch gegenüber seinen Stammgästen an, er werde in kürze eine, wenn auch kleine, Erbschaft antreten und damit seinen Verpflichtungen nachkommen können — auch gegenüber der Krakauer Weinhandlung Olszewski & Goldschmidt, die ihren Vertreter Szulski für den 23. November 1831 angekündigt hat. Trotz Sturm und Unwetter trifft Szulski pünktlich ein, bezahlt Punsch für alle, singt polnische Lieder und fordert von Hradscheck die schuldige Summe ein, die der Wirt auch sogleich zu bezahlen verspricht. II/l. Im vornehmen Schlafgemach der Hradschecks. Abel und seine Frau Ursula rekapitulieren ihre Ehe, die nicht eigentlich glücklich im herkömmlichen Sinn, aber bislang recht zufriedenstellend verlaufen ist. Vor gut 15 Jahren hat Hradscheck die Gastwirtstochter geheiratet und sie damit vor der Schande bewahrt, als reumütige und ehrlose Schauspielerin von der Tür ihrer ebenso begüterten wie hartherzigen Eltern gewiesen zu werden. Von den Zuwendungen einer wohlhabenden Tante hat das Ehepaar sich das Wirtshaus in Tschechin gekauft, doch Ursulas kostspieliger Lebensstil und Abels mangelndes
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