quent fortgeführt. Tiefgreifende Änderungen nimmt der Autor auch am Psychogramm Hradschecks vor. Im Vergleich mit der Vorlage fallen an Motiven untergeordneter struktureller, aber eminent figurencharakterisierender Funktion weg: Abels Hoffnungen auf Glück im Lottospiel (bei Fontane in Kap. 2), der Umbau des Hauses (Kap. 13f.), Ankauf und Aufstellung eines pompösen gußeisernen Kreuzes für Ursels Grab (Kap. 16), Hradschecks Vergnügungsfahrten nach Frankfurt und Berlin (Kap. 17) sowie der Versuch, sich mit Farnkrautsamen unsichtbar zu machen (Kap. 19). An die Stelle von Fontanes abergläubischem Pfiffikus tritt so ein von Schwermut und Hybris gezeichneter Unzulänglicher, der sich nach Verbrechen und Tod der Frau auf sein schlechtes Gewissen zurückgeworfen sieht.
ZEITGERÜST: Die fiktive gespielte Zeit erstreckt sich im Drama auf die Monate von November 1831 bis April 1832. Die ersten beiden Akte (insgesamt drei Bilder) spielen am 23. und 24. November 1831, Bild 1 und 2 des dritten Aktes Ende Februar 1832 und schließlich das letzte Bild im April 1832. Pühringer hat die in „Unterm Birnbaum" erzählte Zeitspanne um insgesamt 19 Monate verkürzt und sieht sich demgemäß zu umfangreichen Raffungen und Auslassungen genötigt. So setzt etwa die Dramenhandlung, im Gegensatz zur logischen Chronologie der Ereignisse, erst am Tag des Verbrechens ein — in Form von narrativ vermittelten Rückgriffen wird der Zuschauer mit der Vorgeschichte, d. h. der Beziehung zwischen Abel und Ursula, ihren Charakteren sowie den unmittelbaren Vorbereitungen zum Mord vertraut gemacht. Während sich Pühringer beim Geschehensablauf bis zur Mordnacht weitgehend an der Chronologie Fontanes orientiert, verlegt er die Verhaftung Hradschecks textintern auf Ende Februar, den Tod Ursels, bei Fontane mit dem Datum 30. September 1832 versehen, auf März 1832. Die Ereignisse um Neubau und geplante Wiederverheiratung bleiben überhaupt ausgeblendet. Die zeitliche Verknappung liegt einmal mehr in Pühringers von Fontanes abstraktem Konzept beträchtlich abweichender Intention begründet: Verfolgt in „Unterm Birnbaum" die vergleichsweise lange Zeitspanne das Ziel, das stete Wirken des Zufalls, der Gerüchte und der subjektiven Beklemmung gegen den Mörder Szulskis narrativ zu veranschaulichen, so beabsichtigt Pühringers Beschränkung auf die entscheidenden Handlungsphasen des Mordes, der Entdeckung und des Geständnisses eine dramaturgische Verschärfung des ins Psychologische und gleichzeitig Moralische verlagerten Konflikts. ORTSGESTALTUNG: Die in „Abel Hradscheck und sein Weib" verwendeten Lokalisierungstechniken bleiben im wesentlichen auf Nebentextpassagen beschränkt, welche zwei Innenräume (die Wirtsstube und den Wohnraum im Hause Hradscheck) sowie einen Außenraum (den Garten des Wirtes) konkretisieren und vorerst nur als Handlungsraum vorstellen. Klein, nieder und vollgefüllt mit Würsten, Speckseiten, Dörrfischen und Zwiebeln, mit Zuckerwaren, Käse, Kochgeschirr, einem Heringsfaß und einem Zuckerhut (P 13), bildet die Gaststube einen scharfen Gegensatz zur geradezu vornehm wirkenden Wohnung im ersten Stock des Hauses — doch „beim näheren Hinsehen" entpuppt sich das Mobiliar als geschmacklich „aus zweiter Hand" (P29). Die Konzentration auf drei Schauplätze führt im Zusammenwirken mit Pühringers Intention. Abels intrapsychischen Konflikt zwischen schönen Scheinwelten und trister Wirklichkeit Drama werden zu lassen, zu einer Semantisierung insbesondere der präsentierten Innenräume: Die lokale Opposition von ebener Erde und erstem Stock findet ihr Pendant im thematischen Konflikt zwischen Armut und Reichtum, Prosa der Wirklichkeit und Poesie erträumter Sorglosigkeit, sozialer Depravierung und Privilegierung, Wahrheit und Lüge.
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