fruchtbar zu wirken, abspreche: „Die Überzeugung von der Berechtigung seiner völlig abwertenden Kritik an der mangelnden christlichen Glaubensbereitschaft des Einzelnen wie an der inneren Kraft und Zuständigkeit der protestantischen Kirche läßt Fontane schließlich deren Auflösung bejahen, weil sie ihren Bestand nur noch der Gewohnheit und der geistigen Lethargie der Masse verdanke." (Bachmann 1968: 74)
Rainer Bachmann hat sich bei seiner Analyse von Fontanes Äußerungen zur Bedeutung der Kirche, zum Glauben und zur protestantischen Geistlichkeit in der Hauptsache an Briefaussagen, und besonders stark an den scharfen Urteilen in den Briefen an den Freund aus Schmiedeberg Georg Friedlaender orientiert. Daß dies eine recht einseitige Orientierung ist, wird deutlich, wenn wir andere Briefzeugnisse, auch solche aus früheren Perioden heranziehen und wenn wir den Blick auf die Darstellung des Pfarrers in Fontanes Romanen und Novellen richten.
Es scheint mir deswegen angebracht, einen anderen Zeugen zu Wort kommen zu lassen. In seinem Beitrag „Pfarrer und Pfarrhaus" zur breit angelegten Kultur- und Sozialgeschichte des evangelischen Pfarrhauses schreibt Fritz Martini ausführlich über die literarischen Bilder des Pfarrhauslebens. Nachdem Martini von Wilhelm Raabes Sehnsucht nach brüderlich-schwesterlicher Christlichkeit gesprochen hat, schreibt er zu den Pfarrern bei Fontane: „,Von solcher Brüderlichkeit erhofft ähnlich der Pastor Lorenzen in Theodor Fontanes „Stechlin" eine verjüngende Erneuerung der Kirche. Sie verbindet sich, rationaler, programmatischer als bei Raabe, mit sozialen Impulsen. Im Erzählwerk von Fontane begegnen uns oft Geistliche, oft Fragen des Glaubens. Darin repräsentiert sich die zeitgenössische preußisch-märkische Gesellschaft und die Verunsicherung der Zeit gegenüber letzten Werten und Normen. Der Geistliche ist gleichsam von der Kanzel heruntergeholt und in die Gesellschaft versetzt, um sich in ihr zu bewähren. Thron und Altar gehörten in der preußisch-monarchischen Ideologie dicht zusammen — so wie Gutshaus und Pfarrhaus auf dem Lande, mochten auch ihre gegenseitigen Beziehungen sich recht verschieden ausnehmen. Sie sind kühl in „Effi Briest"; hier ist der Pastor zur passiven Nebenfigur geworden, die ein schmales Gewicht nur durch das Vorzeichen erhält, das aus seiner Reserve gegenüber Effis früher standesgemäßer Verheiratung spricht. Anders Pastor Lorenzen im „Stechlin". Denn in ihm geht es um eine umfassende Zeit- und Kirchenkritik, um eine neue Beziehung zwischen der Gesellschaft und allen ihren Schichten, um das Programm eines verjüngten, zur Zukunft öffnenden Lebens, in dem Christentum nicht nur gepredigt und gelehrt, sondern in die Praxis mitmenschlichen, sozialen Handelns umgesetzt wird." (Martini 1984: 141) Bedauerlicherweise spielt Martini hier einen Fontaneschen Pfarrer gegen den anderen aus. Daß der Name Niemeyer an strategischen Stellen des Romans auftaucht, beweist, welche bedeutsame seelisch-moralische Funktion Niemeyer als Bezugsperson für Effi besitzt. Mit seinem globalen Urteil wird Martini dieser unterschwelligen Funktion des Pfarrers nicht gerecht. Etwas später vergleicht Martini Pastor Lorenzen mit dem fast nur auf seine Karriere bedachten Superintendenten Koseleger: „Pastor Lorenzen, obwohl nur ein kleiner, etwas beargwöhnter Dorfpastor, ist ihm menschlichgeistig weit überlegen. Denn er denkt und lebt in die Zukunft hinein, er hat das Gespür für das notwendig Kommende, wenn christlicher Glaube seine Verengungen und Veralterungen überleben soll. Er ist ein christlich Sozialer aus Vernunft und Güte der Gesinnung und aus der Offenheit für das Neue, dessen Zeichen er sichtet. So kritisch er sich gegenüber allem Vergreisten und Abgelebten ver-
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