Heft 
(1989) 48
Seite
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L'opionion publique als das Kriterium eines Landgeistlichen herausgeklügelt hat, und wenn ich weiter oben sagen durfte, daß ich bei dem Adel auf dem Lande nie der ihm vorgeworfenen Enge der Anschauungen begegnet sei, so bei dem Pastor auf dem Lande nie der ihm vorgeworfenen Unduldsamkeit. Es wird Einzelfälle davon gegeben haben und noch geben, aber sie zu beobachten blieb mir erspart." (Spreeland, 874 f.)

Es macht also offenbar einen erheblichen Unterschied für Fontane, ob vom Stadt­pfarrer oder vom Landgeistlichen die Rede ist. Fontanes Urteil über die Vertreter der Kirche richtet sich nach der geographischen, das heißt auch gesellschaftlichen Grundlage ihres Wirkungsbereichs. In Spreeland gilt die Anrede den Land­pastoren. In welchen Qualitäten werden sie von Fontane so positiv bewertet? Die Erwähnung von Oliver Goldsmiths Roman The Vicar of Wakefield (1766) und die Bezeichnung des Lebens im Pfarrhaus alsIdyll" setzen eine literarische Tradition mit gesellschaftlichen Implikationen voraus. Der arme Landpfarrer von Wakefield hat nämlich einige soziale Unbill zu erleiden, bevor seine Pfarr­hausidylle zeitliche Kontinuität zu erlangen vermag. Nun sind Werk und Wir­kung zweierlei. Es ist deswegen nicht ganz auszuschließen, daß Fontane fast in der Nachfolge Goethes 2 primär den idyllischen Charakter des Landpfarrers von Wakefield in seiner Erinnerung dominieren ließ. Es spricht aber auch einiges dagegen. An erster Stelle das erzählerische Werk Fontanes, das den Geistlichen vom ersten Roman Vor dem Sturm bis zum Stechlin in seiner gesellschaftlichen Rolle problematisiert. Zum zweiten ist von Bedeutung, daß Fontanes intensive Beschäftigung mit Karl Büchsels Erinnerungen aus dem Leben eines Landgeist­lichen ihn auch mit den Schattenseiten des idyllischen Landpastorenlebens kon­frontiert haben muß. Ich möchte noch einen Schritt weitergehen: gerade von den riskanten, durch das soziale Gefüge bedrängenden Aspekten des bei Büchsel dargestellten Lebens des märkischen Landgeistlichen sind Impulse für Fontanes Erzählwerk ausgegangen. (Für eine detaillierte Darstellung des Patronats in Preußen siehe Ester 1975; für eine Analyse von Vor dem Sturm im Lichte der Patronatsverhältnisse, siehe Ester 1989).

In die Kategorie der von Fontane geschätzten Landgeistlichen gehört der evan­gelische Pfarrer Karl Büchsel, zunächst Gemeindepfarrer, dann Generalsuper­intendent, dessen großes Werk Erinnerungen aus dem Leben eines Landgeistlichen im neunzehnten Jahrhundert sehr verbreitet war. Ich glaube, daß Karl Büchsel mit gutem Recht als der märkische Landpfarrer von Wakefield des neunzehnten Jahrhunderts zu titulieren ist. Dabei möchte ich die historischen Eigenheiten nicht verletzen und nicht übersehen, daß es sich bei Büchsels Erinnerungen und Gold­smiths The Vicar of Wakefield um zwei völlig anders geartete Werke handelt. In einem Punkt aber berühren sich beide, in der Darstellung des harmonischen Zusammenlebens im Pfarrhaus, das von gesellschaftlichen Kräften bedroht wird.

In welchen Werken Fontanes figuriert Karl Büchsel? Soweit ich jetzt sehe, in drei erzählerischen Werken: in Storch von Adebar, Stine und in Irrungen, Wirrungen. In den Fragmenten, den Vorarbeiten zur märkischen Novelle Storch von Adebar, hat Fontane eine Profilskizze der auftretenden Romanfiguren gemacht. Unter der AufschriftZwei Lutherisch-strenggläubige Geistliche" ist zu lesen:

1. Der bei Storchs ist wie Stephan: 50 Jahr alt, klug, geistvoll, herrschsüchtig, hochmütig, alles Aristokratische bestärkend.- Sein drittes Wort ist immer .eine subalterne Natur'.

2. Der bei Attinghaus ist eine Mischung von Büchsel und Müllensiefen und schon

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