herrschte ein rationalistisches Geschlecht, der andre ein orthodoxes." (Bischof Ross: '411)
Die bisherigen Überlegungen erlauben den Schluß, daß Pfarrer Büchsel für Fontane aus zwei Gründen Objekt seines regen Interesses gewesen sein muß. An erster Stelle ist Büchsels Leben repräsentativ für die Lebensform des märkischen Landgeistlichen. Fontanes Interesse beruhte auf dem kulturhistorischen Aspekt der Tätigkeit des Landgeistlichen. Nicht der Inhalt des Glaubens, sondern die gesellschaftlichen Konsequenzen der Organisationsformen des Glaubens üben vermutlich eine starke Anziehungskraft auf ihn aus. Zweitens schätzt Fontane Büchsel aufgrund dessen schriftstellerischer Begabung.
Einige Briefstellen bekräftigen den Hintergrund von Fontanes dauerhaftem Interesse für Büchsel und dessen Werk. An Frau Emilie schreibt er am 10. Juni 1884 aus Hubertusbad: „Ich schreibe dies alles im Hinblick auf die Kreuz-Ztng. und die conservative Partei. Schließlich gehör' ich doch diesen Leuten zu und trotz ihrer enormen Fehler bleiben märkische Junker und Landpastoren meine Ideale, meine stille Liebe. Aber wie wenig geschieht, um diese wundervollen Elemente geistig standesgemäß zu vertreten. Es ist mir das immer ein wirklicher Schmerz. Das conservative Fühlen unsrer alten Provinzen wäre von unwiderstehlicher Kraft, wenn die Leute da wären, diesem Gefühl zu einem richtigen Ausdruck zu verhelfen. Büchsel war 'mal ein solcher Mann, wiewohl auch er einen starken Beisatz von uckermärkischer Enge, Kleinheit u. Bornirtheit hat." (Propyläen- Ausgabe, Bd. 1: 259)
An Theodor Hermann Pantenius schreibt Fontane am 14. August 1893 einen Brief, in dem er die Bedeutung von Büchsels schriftstellerischer Produktion für das eigene Werk betont: „Am meisten Einfluß auf mich übten historische und biographische Sachen (...], Büchsels „Erinnerungen eines Landgeistlichen'' und allerlei kleine von Pastoren und Dorfschulmeistern geschriebene Chroniken oder Auszüge daraus.“ (Briefe, Bd. 2: 301)
Auch in zwei Briefen an Georg Friedlaender hatte Fontane Büchsel erwähnt. In seinem Brief vom 20. August 1889 an den Schmiedeberger Freund schreibt Fontane: „Da habe ich eben, in der heutigen Vossin, einen vorzüglichen Artikel über Büchsel gelesen." (Briefe an Friedlaender: 111/112) 3 In seinem Brief vom 21. September 1895 an Friedlaender vergleicht Fontane die Lebenserinnerungen und Amtserfahrungen (Berlin 1886) des Geheimrates Ludwig Wiese mit Büchsels Erinnerungen: „Büchsel behandelte auch solche Fragen, aber er belegte gleich alles durch Geschichten und daran erkennt man den eigentlichen Schriftsteller." (Briefe an Friedlaender: 288)
Der Artikel aus der „Vossin”, von dem Fontane in seinem Brief vom 20. 8. 1889 spricht. Ist der Nach- ruf auf den am 14. August 1889 verstorbenen Karl Büchsel.4 Der Artikel gibt eine Übersicht über Büchsels Leben und würdigt ihn als Berliner Kirchenbauer, der die Stadtmission des Hofpredigers Adolf Stoecker abgelehnt habe und eigene, fruchtbare Wege der Verkündigung des Evangeliums ge- gangen sei. Zusammenfassend schreibt der Verfasser dieses Artikels: .Das Geheimnis der ausgedehnten erfolgreichen Wirksamkeit Büchsel's lag in seiner Persönlichkeit. Wir dürfen sagen: durch sein Hin- scheiden ist unserer Stadt ein Original verloren gegangen, ein Mann, der viel verspottet, viel gerühmt, von Einzelnen förmlich vergöttert wurde. Er hatte als Prediger vom ersten bis zum letzten Tage seines Berliner Wirkens ungewöhnlichen Zulauf, und der starke Besuch seiner Kanzelvorträge erklärt sich ganz einfach daraus, daß er den Rath seines Freundes Meinhold von Kammin befolgte: Haltet interessante Predigten, und die Leute werden zu Euch kommen. (. . .] Zugleich liebte er es, in jede Predigt Anekdotisches einzuweben, und diese kleinen Geschichten brachten unmittelbare Erlebnisse der Seelsorge, durch die der Zusammenhang zwischen ihm und der Gemeinde wesentlich gefestigt wurde.*5
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