Dieses Publikum, so läßt Thackeray seinen Erzähler in Catherine ankündigen, soll durch abstoßende Darstellung eines Verbrecherlebens aus dem Newgate Calendar von seiner Vorliebe für solchen Lesestoff kuriert werden (C, 31f.). Wie noch zu zeigen sein wird, schleicht sich entgegen dieser didaktischen Absicht psychologische Motivierung in Thackerays Darstellung des Lebenslaufs der Catherine Hayes ein und liefert die mildernden Umstände, deren Vorhandensein er gerade leugnen wollte.
Fontanes Anliegen ist von vornherein, den Werdegang seiner Heldin und das Verbrechen, mit dem er endet, sowohl aus ihrer Erziehung und Umwelt als auch aus ihrer Charakteranlage zu erklären. Das geht aus seiner Beschreibung Gretes in einem Brief an Paul Lindau hervor: „Grete Minde, Patrizierkind, das durch Habsucht, Vorurteil und Unbeugsamkeit von seiten ihrer Familie, mehr noch durch Trotz des eigenen Herzens, in einigermaßen großem Stil, sich und die halbe Stadt vernichtend, zu Grunde geht." (6. Mai 1878, HF IV, 2, 568). Lindau war Herausgeber der Monatsschrift Nord und Süd, in welcher die Erzählung in zwei Folgen im Mai und Juni 1879 erschien. Die Veröffentlichung in zwei Teilen erforderte die Erzeugung von Spannung am Ende der ersten Folge, und zu diesem Zweck ließ Fontane den ersten Teil im 13. Kapitel („Flucht") vor der eigentlichen Flucht im Garten der Zernitzens enden, wohin Grete nach ihrer bisher ernstesten Auseinandersetzung mit Trud in höchster Erregung geeilt ist und wo sie auf Valtin wartet. 7 „Denn daß er kommen würde, wußte sie.", sind die letzten Worte, und die ersten Leser der Erzählung mußten nun vier Wochen in Ungewißheit harren, ob Valtin, der kurz zuvor (Kap. 12) Gretes Ansinnen noch zurückgewiesen hatte, diesmal einsehen würde, daß Flucht unumgänglich geworden sei.
Thackeray, dessen Erzählung von Mai 1839 bis Februar 1840 in sieben Folgen in Fraser’s Magazine veröffentlicht wurde, sah sich dementsprechend öfter vor das Problem gestellt, geeignete Schnittstellen zu finden. Zweimal läßt er seinem Erzähler Ikey Solomons dem Leser Befriedigung seiner Gelüste nach Blut und Schrecken in Aussicht stellen, am Ende des ersten und dreizehnten Kapitels, d. h. des ersten und sechsten Teils. Am Ende des zweiten Teils läßt der Erzähler die jung verheiratete Heldin und ihren Gatten in den Händen von Erpressern zurück, „At this lock", wie er mit einem Augenzwinkern sagt (C, 62). Auch sonst versetzt er seine Hauptfigur immer wieder in Situationen, die im Leser die Neugier wecken, wie sie mit ihnen fertig werden wird: wieder vereint mit ihrem unehelichen Sohn, den sie ihrem Mann gegenüber als ihren Neffen ausgibt am Ende des vierten Teils (Kap. 7), oder nach der nach siebzehn Jahren ersten Begegnung mit ihrem ehemaligen Liebhaber am Ende des fünften Teils (Kap. 10). 8 Bis auf Henry Esmond erschienen alle Romane Thackerays zunächst im Zeitschriften Vorabdruck, und im Laufe der Zeit beherrschte er die Kunst, einzelne Folgen in einem Moment der Spannung abzuschließen, immer virtuoser. 8 Während beide Autoren also aus veröffentlichungstechnischen Gründen gezwungen waren, sich über das Problem der Spannungserzeugung im Verlauf der Handlung Gedanken zu machen, bestand diese Notwendigkeit im Hinblick auf das Ende ihrer Protagonisten nicht. Da die Lebensgeschichten der Catherine Hayes und der Grete Minde aus historischen Quellen bekannt sind, kann in beiden Fällen die Geschichte von der Schlußsituation her aufgerollt werden, so daß das Interesse weniger im Ausgang der Handlung liegt als in der psychologischen Motivation des Verbrechens. Fontane sah denn auch eine „psychologische Aufgabe" in dem Stoff, den ihm seine Quelle lieferte. 10 Dieser Aufgabe zu genügen, legte er die Geschichte so an, daß sie strikt auf die Hauptgestalt bezogen ist. Er erlaubt sich
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