keinerlei Plauderei oder Abschweifungen wie etwa im Roman Vor dem Sturm, der auf über 700 Seiten knappe zwei Monate behandelt, sondern übergeht Tage, Wochen, Monate, ja ganze Jahre in Gretes Leben (zwischen den Kapiteln 5 und 6, 14 und 15). Obwohl Thackeray ebenfalls Jahre im Leben seiner Heldin überspringt — sieben in Kapitel 7, zehn in Kapitel 8 —, kann von Straffung in seinem Roman nicht die Rede sein, denn er läßt seinen Erzähler ausführlich berichten und kommentieren, was sich in diesen Zeiträumen zugetragen hat. Es ist kennzeichnend für Thackerays Romane insgesamt, daß er sich völlig ungebunden in der Zeit vor- und rückwärts bewegt. 11 Ebenso schaltet sich in allen seinen Werken der Erzähler kommentierend ein, zeigt sich als „Manager of the Performance" im Puppentheater, wie Thackeray seine Rolle im Vorwort zu Vanity Fair beschreibt. 13 Fontane lobt dieses „beständige Vorspringen des Puppenspielers" unter Bezugnahme auf „die besten, berühmtesten, entzückendsten Erzähler, besonders unter den Engländern" in einem Brief an W. Hertz (14. 1.1879, HF IV, 3, 7—8). Vor allem in seinem ersten Roman Vor dem Sturm wendet er diese Erzähltechnik selbst an, in Grete Minde hingegen erlaubt er sich nur zwei Hinweise auf seine zeitliche Distanz zum Geschehen (GM, 17, 71) und den gelegentlichen Gebrauch des Possessivpronomens der ersten Person Plural (GM, 67, 68, 72, 95).
Thackeray in der Person seines Erzählers Ikey Solomons erinnert den Leser ständig an seine didaktischen Intentionen und weist gleichzeitig auf den Unterschied zwischen Catherine und den Werken von Ainsworth, Bulwer und Dickens hin, die immer wieder Zielscheibe seiner Satire sind (C, 31f., 45f., 165f., 183—87). Er schaltet sich in die Diskussion der Frage ein, ob Vererbung und Anlage oder Umwelt und Erziehung für den Lebensweg eines Menschen bestimmend sind und benutzt diese Gelegenheit zu einem parodistischen Seitenhieb auf Maria Edgeworths Theorie von der angeborenen Unschuld, die sie zum Beispiel in ihren Moral Tales (1801) für Eltern und Kinder vertritt. Für Thackeray ist der uneheliche Sohn von Catherine und Galgenstein lebender Beweis, daß Kriminalität vererbt wird (C, 98f.). „Roagus nascitur non fit"* ist des Erzählers hier zur Schau getragene Überzeugung (C, 100). ''
Das Problem der Vererbung wird auch in Grete Minde thematisiert. Hier ist es Trud, die ihre Abneigung gegen alles Fremde in den Eigenschaften bestätigt sieht, die Grete von ihrer katholischen Mutter, der ,Spanschen' geerbt hat. Dazu zählen sexuelle Frühreife, in Truds Augen Unzüchtigkeit (GM, 13, 35, 59) und eine Neigung zum katholischen Glauben, was für Trud Ketzerei bedeutet (GM, 29, 35). Gretes äußerliche Ähnlichkeit mit ihrer Mutter verleiht ihr in der Tat etwas Fremdartiges — der Kontrast zwischen ihren „feinen Linien" und Valtins „echt märkischem Breitkopf" wird eigens hervorgehoben (GM, 8) —, und ihre größere Sensibilität unterscheidet sie auch charakterlich. Daß dies allein noch nichts Schlechtes ist, macht Fontane deutlich, indem er Truds Verhalten als von Bigotterie, „Neid und Mißgunst" geprägt entlarvt (GM, 12, 14). Hinweisen auf die Schönheit von Gretes verstorbener Mutter begegnet Trud mit dem Vorwurf der Hexerei, mit deren Hilfe diese den „alten Aberglauben" im Mindeschen Hause wieder eingeführt habe, und Gigas, der protestantische Geistliche, zeigt sich in dieser Frage toleranter als Trud in ihrer Voreingenommenheit (GM, 29). Während sie Grete als „Hexe" beschimpft (GM, 62, 92), läßt sich aus Valtins Verhalten ableiten, daß er bei der spielerisch gestellten Alternative „verwunschene Prinzessin (...) Hexe" eher zu der ersten Charakterisierung neigen würde; jedoch läßt Fontane
* «Schurken werden geboren, nicht gemacht."