und ihrem Kind sie zu dem Bittgang bei ihrem Bruder, und andererseits führt der Haft, den seine Reaktion in ihr entfacht, endlich zu ihrer Rachetat, die unverhältnismäßig viele Unschuldige, ihr eigenes Kind darunter, mitbestraft.
Fontane bereitet dieses Ende mit Hilfe der Vorgeschichte Gretes sorgfältig vor. Die Verweigerung ihres Erbes, den Quellen zufolge der Grund für die Brandstiftung, ist hier nur der letzte Auslöser. Hinweise auf Gretes Gemütszustand in den letzten Kapiteln lassen die Interpretation zu, daß dieses letzte Unrecht zum Ausbruch des Wahnsinns bei ihr geführt hat (GM, 87, 88, 92—3, 94, 97, 98—100). Ihre Umwelt, die Familie und der Tangermünder Stadtrat werden noch einmal schwer belastet, denn Gretes Gefühle von „Lieb' und Sehnsucht" angesichts ihrer Heimatstadt werden erst durch die Behandlung, die sie von deren Einwohnern erfährt, in Haß und Rachedurst verwandelt (GM, 87). Bis zum Schluß also fehlt es nicht an Hinweisen, daß Fontane Gretes Tat als Ergebnis einer Verquickung von Charakteranlage und Umwelteinfluß verstanden wissen will, wobei weder der einen noch der anderen Komponente allein die Verantwortung zuzuschreiben ist. Der Vorwurf, er lege die Erzählung nicht eindeutig als Studie eines pathologischen Falles an wie etwa Hauptmann seinen Bahnwärter Thiel, 22 trifft daher nicht zu, denn Fontanes subtiles Offenlassen der Frage, wo letztlich der Grund für Gretes Handeln liegt, ist weitaus glaubwürdiger und wirklichkeitsnäher als Hauptmanns „programmatische" Darstellung eines geistigen Verfalls, zu deren Untermauerung er auch noch auf die Mystik zurückgreifen muß. 23
Die Betrachtung der Verwendung historisch überlieferten Materials in Catherine und Grete Minde hat gezeigt, daß das Hauptinteresse beider Autoren in der Psychologie ihrer Titelfiguren liegt, so daß das geschichtliche Element demgegenüber zurücktritt. Was Fontane betrifft, so ist mehrfach festgestellt worden, daß es ihm um die allgemein-menschliche Gültigkeit des Konfliktes geht, in den seine Heldin verwickelt ist, weniger um detailgetreue Nacherzählung eines historischen Stoffes. 24 Beschreibung von Sitten und Gebräuchen (GM, 37, 38, 51, 52, 83) und topographisch-anekdotische Reminiszenzen im Stile der Wanderungen geben Zeit- und Lokalkolorit und schaffen Atmosphäre (GM, 24—5, 30—31, 43—44, 55—56, 73, 94). Einem solchen Zweck dient auch die gelegentlich archaisierende Diktion; wie I. Leitner nachgewiesen hat, liegt die Bedeutung alter Sprache und auch alter Motive in ihrer literaturspezifischen Funktion als Stilmittel, nicht mehr in ihrer historischen Herkunft. 25 Thackeray war bemerkenswert bewandert in der Sprachgeschichte des 18. Jahrhunderts und so vertraut mit der Sprache und Literatur seiner Lieblingsepoche, daß ihm ganz selbstverständlich Archaismen aus dieser Zeit in seine Werke einfließen, nicht nur in die historischen Romane. Dabei finden sich in Catherine nicht einmal so zahlreiche Beispiele der Diktion des 18. Jahrhunderts wie etwa in Henry Esmond und The Virginians. 26 Diese Archaismen dienen ebenso wie seine satirischen Ausführungen über die historische Epoche, in der sich Catherines Geschichte abspielt, seinen parodistischen und didaktischen Zwecken. Man stelle nur den Beginn des ersten Kapitels der Vorrede zu Henry Esmond gegenüber (HE, 13—16), in der Thackeray seine persönliche Geschichtsphilosophie darlegt. In dem geschichtlichen Rückblick seiner Einführung zu Catherine zeigt er eine von Laster und Torheit beherrschte Gesellschaft, deren beste Kreise sich nicht anders verhalten als die Protagonisten seiner Erzählung. Damit reiht er Catherines Fall in einen größeren Zusammenhang krimineller Verwicklungen ein und deutet dem Leser an, daß die Menschen aller Klassen zu allen Zeiten gleich (schlecht) waren. Gleichzeitig parodiert er, wann immer er auf die Sitten und Gebräuche der von ihm beschriebenen Epoche eingeht (C, 138, 150)
88