Stadtviertel zu Stadtviertel unterschiedliche soziale Strukturen aufweisenden Stadt fest. Zugleich unterstützt die Darstellung von Äußerlichkeiten der Wohngegend sinnbildhaft die psychologische Deutung. All seine Bezirke gehören zum ursprünglichen Stadtgebiet, das von inzwischen zu Großstädten gewordenen und später eingemeindeten Nachbarorten umgeben war. Nur im Roman „Die Poggen- puhls" stellt die die Grenze zwischen Berlin und Schöneberg bildende „Groß- görschenstraße" den Wohnsitz der standesbewußten Personen dar. Mit ihrem historischen Namen zeugt sie vom Familienstolz der Poggenpuhls, während die Lokalbeschreibung dieses Neubaugebiets gestalthafter Ausdruck ihrer sozialen. Nichtigkeit ist.
In den epischen Raum der „Berliner Romane" werden auch Institutionen: Restaurants, Cafes, Hotels, Kirchen, Theater u. a. aufgenommen, die von der Lebensweise der Stadtbewohner Zeugnis ablegen und ähnlich wie die Straßennamen zu Chiffren der gesellschaftlichen Wirklichkeit werden. Fontane nennt die von den höheren Kreisen besuchten Lokalitäten, aber auch die volkstümlichen Einrichtungen — manche in der Stadtumgebung gelegen und mit der Schilderung einer Landpartie eingeführt — finden Eingang in seinen Romanen.
In den von den Autoren der „Berliner Romane" häufig geschilderten Landpartien äußert sich das moralisch-sittliche Bild der Berliner Wirklichkeit. Das gesellige Bild der Berliner war in überregionalen Traditionen des deutschen Bürgertums verwurzelt, und die Familienfeste spielten dabei eine wichtige Rolle. Die Lebensweise der Stadtbewohner wurde aber auch durch die Residenz und Garnison, die sich rasant entwickelnde Industrie und die einzigartige Umgebung besonders gekennzeichnet. Ungeachtet der subjektiven Sicht der Schriftsteller finden sich in verschiedenen Romanen Motive wieder, die besonders die für Berlin spezifischen Aspekte des Lebensstils aufgreifen.
Die in der epischen Wirchlichkeit der „Berliner Romane" agierenden Menschen weisen sich in einer Reihe von Büchern unverwechselbar durch ihre Sprache als Bewohner dieser Stadt aus. Das von Fontane stilisierte Berliner Idiom, das die Mentalität und Bildung der Figuren widerspiegelt, gibt Aufschluß über deren gesellschaftlichen Status und wird ausschließlich von den Menschen mit bürgerlicher Herkunft gebraucht. Diese Figuren werden vom Erzähler wiederholt als „geborene", „richtige", „echte" oder „alte" Berliner bezeichnet.
In der untersuchten Literatur fehlt es nicht an direkten Aussagen über Berlin und die Berliner, die besondere Eigenschaften der Stadt und deren Bewohner hervorheben. Eine Zusammenstellung ergibt eine große Mannigfaltigkeit dieser Merkmale. Oft wird hier das Bild der Stadt von überkommenen Lebensformen und Traditionen des Bürgertums geprägt. Aber auch die sich herausbildenden Formen des modernen Lebensstils werden als typisch berlinische Erscheinungen genannt. Bei Fontane überwiegt ein heiterer Tonfall. In seinen Aussagen über Berlin finden sich versteckte Huldigungen, zuweilen auch scherzhafte Kritik.
Die Schilderungen des Straßenlebens in den „Berliner Romanen" zeigen eine Großstadt mit wechselnder Physiognomie. Am Tag wird Berlin oft als eine Riesenstätte der Arbeit mit Maschinen- und Straßenlärm vorgeführt, am Abend erwacht die Stadt zum Genuß und Vergnügen. Fontane fügt Bilder des vom geschäftigen Treiben der Menschen geprägten Straßenlebens ein. Die Atmosphäre der sich darbietenden Bildnisse harmoniert mit der Gemütslage der sie betrachtenden Figuren.
Der amerikanische Soziologe Louis Wirth stellt in seinem in den 30er Jahren veröffentlichten Urbanisierungskonzept 8 fest, daß mit dem Aufstieg der modernen
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