Heft 
(1989) 48
Seite
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seine" und erhält eine Anstellung, durch die sie einen Lebensinhalt und finanzielle Sicherheit für sich und ihre Mutter gewinnt.

Bei aller Vorsicht, die angesichts des fragmentarisch gebliebenen zweiten Teils des Romans geboten ist, muß jedoch hier der Sympathieumschwung zugunsten Mathildes beachtet werden. Daß dahinter sorgfältige Sympathieregie steckt, be­stätigen Fontanes Notizen. Da heißt es:

Im Wesentlichen ist alles in Ordnung, auch das ist gut, daß Thilde schließ­lich namentlich unmittelbar nach dem Tod Hugos - etwas von ihrer Prosa verliert und vorübergehend unter einen stillen Einfluß des Toten und seines milden Wesens kommt."

Hugos Tod öffnet Mathilde die Augen für die bedenkliche Seite ihres ersten Auf­stiegsversuchs. Als Konsequenz dieser Einsicht besinnt sie sich nun auf ihre eige­nen Fähigkeiten und Möglichkeiten. Das Aschenputtelschema der Hinaufheirat" ist damit ad acta gelegt. Es wird ersetzt durch einen neuen Aufstiegsweg: den der beruflichen Qualifikation.

Damit ist ein ganz neues- Handlungsmuster gefunden, in das Fontane die aktive Frauenfigur einsetzen kann. Und nun kann sie als positive Heldin präsentiert werden: Denn das berechnende Umspringen mit den Gefühlen eines andern ist nun vorbei es hat Mathilde (wie sich gezeigt hat) viele Lesersympathien gekostet, obwohl es Fontane durch ihre sozialen Verhältnisse so genau begründet hatte.

Jetzt im zweiten Teil des Romans versucht sie, ihre soziale Sicherheit durch den Einsatz eigener Kräfte zu gewinnen und nicht auf dem Umweg über die Anstrengungen eines Mannes.

Im Vergleich zum ersten Male sind Mathildes Chancen nun noch wesentlich geringer, ihr Aufstieg entsprechend bescheiden. Von der Glücksjagd, zu der sie sich geladen glaubte, ist sie in Wahrheit doppelt ausgeschlossen: als Angehörige des Kleinbürgertums und als alleinstehende Frau. Fontane trägt hier der histo­rischen Realität der berufstätigen Frau Rechnung mit einer Genauigkeit und einem Ernst, die beide in seinem Werk wie auch im zeitgenössischen deutschen Roman einmalig sind.

Deutlich wird damit auch, wogegen sich Fontanes Kritik richtet: nicht gegen die unsympathische",männliche" Frau, sondern gegen die patriarchalische Welt des wilhelminischen Preußen, in der Frauen keinen ihrer Fähigkeiten entsprechenden Platz finden konnten. Fontane selbst hat daran gelitten; ihm tat (wie er einmal schreibt)das Herz weh" angesichts der Begabung seines Lieblings, der einzigen Tochter Mete, die zeitweise als Hauslehrerin ein mühsames Auskommen fand und deren Bedürfnis nach Auszeichnung unter den herrschenden Bedingungen unerfüll­bar bleiben mußte.

Nahezu zwanzig Prozant aller Frauen im Deutschen Reich waren 1895 berufstätig. Das sind annähernd fünfeinhalb Millionen Frauen. Aber die Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen war nach einem Prinzip geregelt, das Hedwig Dohm so beschrieb:die geistige Arbeit und die einträgliche für die Männer, die mechanische und die schlecht bezahlte für die Frauen". Demnach stellten Frauen vor allem das niedere Hilfspersonal in den expandierenden Industriebetrieben und leisteten Tagelöhnerarbeiten im häuslichen Dienstbereich, einem Sektor, auf dem sich die Zahl berufstätiger Frauen in nur zehn Jahren verdoppelte.

Die einzige Gruppe mit höherer beruflicher Qualifikation waren die Lehrerinnen. Entsprechend groß war der Anstrum von Frauen auf die Lehrerinnenseminare,

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