Heft 
(1990) 50
Seite
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Kommentar

Zu den Amtspflichten des jeweiligen Sekretärs im literarischen VereinTunnel über der Spree" gehörte die jährliche Berichterstattung am Stiftungsfest. Sie sollte an die Geschichte des Vereins gleichsam ritualisiert erinnern. Gleichzeitig bot sich dabei eine Gelegenheit zur akzentuierten Selbstdarstellung, die nicht selten aus der Inter­pretation des Zürückliegenden entwickelt wurde. Unterschiede ergaben sich auch im Nachdruck und im Geschick, mit der diese Möglichkeit genutzt wurde. Fontane hat Louis Schneiderhochschätzbare Vereins- und Gesellschaftsgaben' (Von 20 bis 30. Autobiogr. Schriften Bd. 2, S. 253) bescheinigt und ihn für die Zeit bis 1848 als eines der bestimmenden Tunnelmitglieder eingeschätzt. Mit Schneider, der erst Schau­spieler und dann Vorleser Friedrich Wilhelm IV. war, gab 1837 das Gründungs­mitglied den Jahresbericht, das zugleich seit Beginn als Schriftführer tätig war. Daß sich seine Darstellung trotz dieses Umstands intimer Kenntnis im persönlichen Ton zurückhält, war nicht zum geringsten dem Charakter der Jahresberichte geschuldet: Er sollte bewußt formelle Züge haben und nicht gänzlich ins Belieben des Sekretärs gestellt sein. Die Schlüsselereignisse der eigenen Historie, denen man traditions­stiftende Kraft zutraute, sollten in ähnlich lautenden Wendungen von Tunneljahr zu Tunneljahr überliefert werden. Dieser Textkonsequenz, die Individuelles unterordnet, entzog sich Schneider punktuell. Der Anlaß - 10 JahreTunnel über der Spree" - erlaubte es. Dadurch gewann sein Jahresbericht an Anschaulichkeit. Er läßt den direkten Zugriff auf die miterlebten Vereinshöhepunkte spüren, ohne im Autobiogra­phischen aufzugehen.

Bei Louis Schneider klingt deutlich die von ihm bevorzugte Seite des Vereinslebens an. Sie hing mit dem sozialkulturellen Charakter desTunnels über der Spree" zu­sammen, der den Verein als eineAssoziationsform auf freiwilliger Grundlage" be­stimmt,die auf der tätigen Verbindung und Vereinheitlichung von Interessen und Bedürfnissen primär nicht-ökonomischer, nicht-beruflicher und nicht-politischer Na­tur, sondern wesentlich geselliger und kultureller Art beruht." (Kröll, Bartjes, Wien­garn : Vereine. S. 36) Daß das nicht auch berufliche Förderung durch die Vereins­bekanntschaften ausschloß, verdient der Erwähnung.

Der Überblick, hier erstmalig veröffentlicht, kann zweierlei leisten: 1. Er gibt eine Zusammenstellung wichtiger Ereignisse in der Vereinsgeschichte, wobei die Auswahl durch den Berichterstatter und den Zeitpunkt (Ort, Anlaß u. ä.) geprägt ist; 2. Schnei­ders Darstellung vermittelt einen imposanten Eindruck von der Vielfalt der Tätig­keiten, die den Vereinsalltag ausmachten. Man feierte und sang, man dichtete und kritisierte, man legte eine Bibliothek und ein streng organisiertes Archiv an, man sanierte den Verein in finanzieller Hinsicht und kam zu einem Besitz, der vereins­externen Zwecken dienen konnte, wenn man wollte. Diese Aktivitäten zeigten den Tunnel" als einen Verein, der sich zu einem eigenständigen Kreis herausgebildet hatte. Schneider bringt das in das Bild vom Erwachsenwerden.Außen" undInnen" erscheinen deutlich voneinander geschieden. Die Veränderungen seit der Gründung werden als Entwicklung interpretiert und positiv gedeutet. Daß dieser Vorgang voller problematischer Züge steckte, bezeugen die Beiträge im vorliegenden Heft.

Zitierte Literatur:

Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographische Schriften. Band II. Herausgegeben von Gotthard Erler, Peter Goldammer u. Joachim Krueger. Berlin u. Weimar 1982.

Friedhelm Kröll, Stephan Bartjes, Rudi Wiengarn: Vereine. Geschichte, Politik, Kul­tur. Frankfurt a. Main 1982.

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