Heft 
(2022) 113
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66 Fontane Blätter 113 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Prätexte mit poetischem Mehrwert? Theodor Fontanes Rezeption zweier Boulevardstücke von Ernst Wichert Rolf Parr I . Das Theater war nicht nur für den Kritiker Theodor Fontane und als Ge­genstand der Konversation für den Briefschreiber von Interesse, 1 sondern auch für den Romancier; sind Theatermotive in Fontanes Erzähltexten doch, wie Frances M. Subiotto gezeigt hat, sowohl was ihre Funktion als auch ihre Form angeht, in enormer Breite anzutreffen. 2 Rolf Selbmann hat dies im Schlusskapitel seiner Studie zum Theater im Bildungsroman prägnant resü­miert:»Kaum ein Roman Fontanes wird zu finden sein, in dem nicht vom Theater die Rede ist.« 3 Für den Erzähler, so Selbmann weiter, sei es»ein Mittel zur Darstellung sozialer Verhaltensweisen und Denkformen in einer repräsentativen Situation, für die Figuren selbst« seien»die Theaterstücke und-aufführungen verdichtete Spiegelungen ihrer augenblicklichen Le­benslage«. 4 Ausführlich und im Detail aufgearbeitet hat diesen Befund Bea­ trix Müller-Kampel in ihrer inhaltsanalytisch angelegten Dissertation, die nach den beiden großen Themenbereichen»Das Theater im epischen Werk Fontanes«(»Theaterbesuche und Theaterbesucher«,»Laienspiel und Laien­gesang«,»Die Theaterromane«) und»Die Schauspieler in der Erzählprosa Fontanes« differenziert. 5 Ausgehend von diesen Arbeiten, aber spezifischer als es dort geschehen ist, werden im Folgenden zwei Richtungen des Rekurrierens auf Stücke des Boulevardtheaters bei Fontane als eines der Konstruktionsprinzipien sei­ner Texte herausgearbeitet. Erstens wird am Beispiel von Effi Briest 6 und Ernst Wicherts Lustspiel Ein Schritt vom Wege 7 nach den Funktionen ge­fragt, die Bezüge auf Boulevardstücke in Fontanes Romanen und Erzählun­gen haben, insbesondere danach, welchen ästhetischen ›Zugewinn‹ er durch solche Bezüge erzielen kann. Ausgangsthese ist dabei, dass Fontane im Rückgriff auf das Boulevardtheater populäre Elemente in sein eigenes Schreiben ebenso integrieren kann, wie punktuell auch darin nicht thema­tisierbare Wissensbestände und Darstellungsweisen, und zwar ohne sich damit hinsichtlich des Stellenwertes seines eigenen Schreibens als Kunst