Heft 
(2022) 113
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Fontane und Gabriele Tergit  Sill 103 ren. Aufgewachsen im Arbeiterviertel zwischen Jannowitzbrücke und Schlesischem Bahnhof, studierte sie nach dem Abitur 1919 an verschiede­nen Universitäten Geschichte, Soziologie und Philosophie. Als freiberuflich arbeitende Journalistin machte sich Gabriele Tergit in der Weimarer Repu­ blik einen Namen als Gerichtsreporterin; bekannt aber wurde sie vor allem durch ihren 1931 bei Rowohlt erschienenen Roman Käsebier erobert den Kurfürstendamm. Nach einer Serie von Anfeindungen und Überfällen durch die SA bereits 1933 ins Exil getrieben, arbeitete Gabriele Tergit in Hotelzimmern in Prag , Jerusalem , Tel Aviv und London über zwei Jahr­zehnte hinweg an ihrer Familienchronik Effingers, die schließlich 1951 im Verlag Hammerich& Lesser veröffentlicht wurde. Der erhoffte Erfolg stell­te sich jedoch nicht ein. Und auch wenn Effingers 1978 noch einmal aufge­legt wurde, von einem Durchbruch lässt sich eigentlich erst sprechen, nach­dem dieser Roman 2019 ein drittes Mal erschien.»Eine großartige Wiederentdeckung« 4 , bemerkt dazu Juliane Liebert bereits im Untertitel ihrer geradezu enthusiastischen Besprechung in der Zeit. Und Nicole Hen­neberg beginnt ihr Nachwort zur Neuauflage bei Schöffling& Co. mit den Worten: Was für ein großartiger Roman! Er nimmt den Leser auf eine Abenteu­erfahrt fast durch ein ganzes Jahrhundert mit, steckt voll historischem Wissen, und seine Hauptfiguren sind so lebendig und einprägsam, daß die Presse sie nach Erscheinen der zweiten Auflage(1978) zu Recht ne­ben die Mitglieder der Familie Buddenbrook stellte. 5 In der Tat: Dieser nahezu 900 Seiten umfassende Roman ist eine glänzend geschriebene Familienchronik, die den Zeitraum von 1878 bis 1948 umfasst und in deren Mittelpunkt neben den Nachkommen des Uhrmachers Mathi­as Effinger die beiden jüdischen Bankiersfamilien Goldschmidt und Opp­ner stehen. Im ersten Kapitel widme ich mich den vielfältigen Bezügen zwischen Theodor Fontanes Berliner Romanen und Gabriele Tergits Effingers. Wie sich zeigen wird, sind es insbesondere Irrungen, Wirrungen(1888) und Stine (1890), die in durchschaubarer Transparenz als Hintergrundfolie der Dar­stellung fungieren. Seien es Handlungselemente, Konfliktkonfigurationen, Charaktere oder Dialoge: Überall dort zeigt eine genaue Parallellektüre, welche Bedeutung Fontanes Romane für Tergits Familienchronik besitzen. Im zweiten Kapitel ist es der Theaterkritiker Fontane genauer gesagt: Fon­tanes Besprechungen zweier Inszenierungen von Henrik Ibsens Drama Ge­spenster(1884), die in Gabriele Tergits Roman Eingang gefunden haben und auf der Figurenebene kontrovers erörtert werden. All diese Bezüge lassen sich, wie gesagt, in Gestalt einer vergleichenden Lektüre Zug um Zug er­schließen.