Heft 
(2022) 113
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114 Fontane Blätter 113 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Ihrem jungen Grafen, der die Welt unterhalb seines Standes so wenig kennt wie Theodor, berichtet Stine vom Leben ihrer Schwester Pauline.»Sie war kaum zwanzig, als Olga geboren wurde. Da hatte sie nun das Kind, eine gewöhnliche Verführungsgeschichte[...], und weil man ihren Anspruch mit einer hübschen Geldsumme zufrieden stellte, so war sie nun eine ›gute Par­tie‹ geworden und verheirathete sich auch bald danach.« 94 Nicht anders Wanda . Schon»bald danach« kann Onkel Waldemar seinem Neffen berich­ten, was aus seinem früheren Verhältnis geworden ist:»Es ist wohl alles in Ordnung. Sie hat ihren Freund geheiratet. Ich habe ihr dreitausend Mark geschickt.« Doch da wäre noch etwas, was Waldemar seinem Neffen lieber verschweigt:»Waldemar überlegte, ob er Theodor sagen sollte, dass Wanda weiter auf die Straße ging. Aber dann sprachen sie von englischen Farbsti­chen, die Theodor mitgebracht hatte.« 95 Damit aber ist auch diese Episode abgeschlossen. 2. Theodor Fontanes Ansichten zur Ehe im Spiegel von Gabriele Tergits Roman Effingers In der Saison 1889/90 bietet sich dem gebildeten Bürgertum Berlins erneut die Gelegenheit, Henrik Ibsens Drama Die Gespenster(1884) in einer Auf­führung zu erleben, nun in einer Inszenierung der»Freien Bühne« im Les­ singtheater . Natürlich hat sich der Privatdozent Waldemar Goldschmidt, der habilitierte Jurist, Kunstsammler und Freigeist, Eintrittskarten be­sorgt. Sein Neffe Theodor schwärmt gemeinsam mit seinem Freund Mier­mann für Ibsen . Und so liegt es nahe, dass Waldemar Goldschmidt seinen gerade erst 21 Jahre alten Neffen zum gemeinsamen Theaterbesuch einlädt: ›Ich habe Karten zu den ›Gespenstern‹. Willst du mitkommen, Theodor? / ›Ja, gehen Sie‹, sagte Miermann. ›Sie müssen gehen. Dieser Mut, über die verborgene Krankheit zu reden, diese Frau Alving, die aus nichts besteht als aus Verbergen, die den Lumpen von Mann immer wieder als den guten Bürger der Konvention retten will! Und warum hat sie diesen Lumpen geheiratet? Weil Tanten und Mutter ihr zuredeten, weil er eine gute Partie war. Sie hat ihr Liebesleben getötet, die größte Sünde bei Ibsen , um der Konvention willen. / ›Halt, halt! rief Waldemar. ›Solange die Welt steht, ist immer nach Verhältnissen und nur sehr ausnahms­weise nach Liebe geheiratet worden. Die Franzosen sind das berühmte Volk der Liebe, aber heiraten tun sie nach Vernunft. Jacob, der Rahel liebte, begann wohl oder übel mit Lea. Ruben, Simeon, Levi, Juda und noch zwei andere wurden ihm aus dieser Gleichgültigkeitsehe geboren, Hervorbringungen, die hinter Benjamin und selbst hinter der ägypti­schen Exzellenz Joseph in nichts, am wenigsten in Kraft und Gesundheit zurückblieben. Das alles hat noch längst keine Verdummung zur Folge.