Heft 
(2022) 113
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Was keine Geschichte ist  Aust 153 und nichts gegen Vor dem Sturm, nichts gegen Irrungen, Wirrungen oder gar Effi Briest «(S. 152). O je, denkt man bei dieser Einleitung, und alsbald zeigt sich: Michael Maar steht Fontane kritisch gegenüber, und zwar aus zwei Gründen. Der erste lautet, in Anspielung auf Fontane selbst, nämlich auf dessen Keller-Rezension:»Schwierig wird es dann, wenn ein realisti­scher Roman vorgibt, seine Figuren glaubwürdig sprechen zu lassen, der Leser es ihm aber nicht abnimmt.[] es ist der Fontane -Ton, dem er seine ganze preußische Gotteswelt überliefert[] genau das, was als seine Stärke gilt, ist auf Dauer seine Schwäche: die Kunst der wörtlichen Rede. Alle Figu­ren sind hoch sprachbewusst und kommentieren beständig ihre eigene Wortwahl und Ausdrucksweise[], klopfen die Sprache auf Phrasen und hohle Konvention ab, sie lassen sich sprachlich kein X für ein U vormachen und sind immer erst einmal ironisch. Und alle tun es auf die gleiche Art. Es wäre ein Leichtes, aber auch Müßiges, Stellen zu montieren, bei denen sich unmöglich unterscheiden ließe, ob sie von Dubslav oder Czako oder Wolde­mar, ob sie von Frau von Gundermann oder von Melusine gesprochen(res­pektive: gelacht) werden. Oder auch vom alten Briest. Sie alle klingen nach their masters voice «(S. 149, 152). Der zweite Grund ist Fontanes»Schwäche für die Sentenz«, exemplifiziert an Dubslavs Sterbeszene:»›Das Ich ist nichts damit muss man sich durchdringen.[] In das Gesetzliche sich ruhig schi­cken, das macht den sittlichen Menschen und hebt ihn.[] Das Leben ist kurz, aber die Stunde ist lang.[] Seufzt man so auf dem Sterbebett? Er­greifend oder doch wieder zu wohltemperiert und harmlos proverbial? Die dauerhaft mittlere Temperatur bei Fontane , bei dauerhaft dahinplätschern­dem Gerede, das macht ihn à la longue so leicht ausrechenbar wie schwer ermüdend«(S. 151). Ein selten gehörtes, auch ein hartes Urteil, aber er hat da einen Punkt. Nicht wahr? Christine Hehle Cornelia Zumbusch : Was keine Geschichte ist. Vorgeschichte und Literatur im 19. Jahrhundert. Berlin : J. B. Metzler 2021. 301 S. 64,99 Wenn ein Buch über»Vorgeschichte« mit dem beginnt,»was keine Ge­schichte ist«, scheint es sich selbst ins Wort zu fallen, denn steckt nicht in jeder Vorgeschichte schon eine ›Geschichte‹? Und auch der Haupttitel meint eigentlich nichts anderes, denn er zitiert eine Ankündigung Lenardos(aus Wilhelm Meisters Wanderjahre), der etwas erzählen will, was»keineswegs ein Liebesverhältnis« ist, wohl aber»das wunderlichste Verhältnis von der Welt«, also auch eine Geschichte. Der scheinbare Widerspruch löst sich auf, sobald die Doppeldeutigkeit von ›Vorgeschichte‹ als Grundbegriff der Er­zählordnung und der Altertumskunde bewusst wird.