Was keine Geschichte ist Aust 157 ist die Gepflogenheit gemeint, die Vorleben weiblicher Figuren»in den gesellschaftlichen Kommunikationskanälen des Klatschs und der Kolportage zur Geschichte«(S. 218) auszugestalten. In dieses Kanalsystem sind selbstverständlich auch die Zeitungen eingebunden. Dies als stimmig vorausgesetzt, wäre allenfalls noch zu prüfen, inwiefern zutreffen kann, dass Fontanes Ehebruchromane»sich in immer neuen Variationen an Goethes Die Wahlverwandtschaften entlangschreiben«(S. 215). »Vor den Hohenzollern « heißt das erste der beiden Kapitel, die sich Fontanes»zweite[m] Roman «[!] Cécile zuwenden. Somit ist von Anfang an klar, dass dieser»Roman einer Vorgeschichte«(S. 224, F 33) private und politische ›Vorgänge‹ aufeinander bezieht. Inwiefern damit zugleich»Prähistorie« gemeint ist, mag fraglich bleiben. Die ›prähistorische‹ Aufmerksamkeit gilt dem Privatgelehrten Eginhard Aus dem Grunde, dem»Urnenbuddler« mit seiner Vorliebe für die Askanier. Das sind doch eher historische Figuren, und so, wie der»Urnenbuddler« erscheint, ironisiert die Bezeichnung einen dilettantischen Sammler. Cécile, so heißt es, um den politischen Akzent ihrer Vorgeschichte zu betonen, fühle sich als Schlesierin im preußisch dominierten Kaiserreich von ihrer eigenen Vergangenheit ›abgeschnitten‹. Wird das ihrem Selbstverständnis gerecht, wenn sie sich im»Treue«-Gespräch mit dem Privatgelehrten als»fester Braunschweiger« ausgibt, aber unter veränderten Verhältnissen»loyaler Preuße« sein könnte? Ohnehin scheint für Zumbusch Céciles Schicksal weniger vom»prähistorischen Konkurrenten der Hohenzollern «(S. 227) abzuhängen als von der gegenwärtigen»geselligen Unterhaltung«. Nicht was in der Vorgeschichte geschehen ist, zählt, sondern was im»pathogene[n] Gerede«(ebd.) wiederholt wird. Es ist also die ›Wiederholung‹, die das Vorgefallene schädigend reaktiviert, statt im Akt der ›Wiedererkennung‹ rechtzeitig das Vergangene ruhen zu lassen. Zumbusch glaubt, sich auf Céciles Worte –»daß mir Ihr Wiedererscheinen eine Wiederholung nicht ersparte« – berufen zu können, übersieht aber, dass Cécile mit»Wiederholung« das meint, was sie schon einmal Gordon gesagt hat, und nicht das, wovon St. Arnaud im Brief als Wiederholung spricht. Die Vorgeschichten, in deren Bann Effi steht, sind in erster Linie die frühe Liebe zwischen Innstetten und ihrer Mutter sowie die Chinesengeschichte. Beide Geschichten sollen sich»erstaunlich genau«(S. 234) entsprechen, weil»im Chinesenspuk nicht nur Innstetten, sondern auch Effis Mutter«(S. 234) wiederkehren. Unter der Hand verwandelt sich der ›Chinesenspuk‹ in eine»wiedergängerische Braut«(S. 235) mit Nina als jener im Stechlin besungenen Todkranken(hierzu Karl Pestalozzis Studie im KellerFontane-Band, 2006) und gleich darauf in die ›weiße Frau‹, von der Effi in einem Reisehandbuch liest. Überdies sollen die drei»goldenen Stäbchen« (HFA I/4, S. 292) des Stuhls, auf den sich die Mutter am Krankenbett ihrer Tochter setzt, den»drei Stühle[n] des Kessiner Spukzimmers«(S. 235), das
Heft
(2022) 113
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