Unordnung im Stechlin Amannn 27 ter allein über die Abstammung – ein paradoxer, aus dem kanonischen Recht in das BGB übernommener und bis in die 1970er-Jahre hinein praktizierter Rechtsgrundsatz, in dem die Willkürlichkeit und Fragwürdigkeit der zentralen genealogischen Metapher zum Ausdruck kommt. 30 Der Nachweis väterlicher Abstammung kann nicht erbracht werden, darauf bezieht sich das Rechtssprichwort: Pater semper incertus est, in dem die rechtliche Problematik, Macht und Ohnmacht patriarchalischer Verhältnisse bis in die jüngste Vergangenheit hinein konserviert worden ist. 31 In den juristischen Erwägungen zum BGB war das ausschließlich die Mutter belastende Kriterium einer fehlenden Ehe ein wesentlicher Grund für den fortwährenden Zweifel an ihrem»guten Willen und genügendem Ernst«, der Übertragung der elterlichen Gewalt gerecht zu werden. Fehlende Bindung werde durch eine Erwerbstätigkeit der Mutter verstärkt, die »häufig von dem Kinde getrennt ist und dasselbe oft gegen eine billige Vergütung fremden Personen überläßt«. 32 Vorbehalte gegenüber dem mutmaßlichen Lebenswandel der Mutter, die in der Gleichsetzung von Unehelichkeit und Unsittlichkeit gründeten, führten zu der aus dem Gemeinen Recht bereits bekannten Installierung einer kontrollierten Vormundschaft, die nun auch auf Angehörige der mütterlichen Seite übertragen werden sollte. Als rechtswürdig galt hier aber wiederum nur ein pater familias , der allein durch die»autoritative Stellung des Großvaters« gegeben war, ausgeschlossen war dagegen ausdrücklich eine in früheren Rechtsformen noch übliche Bestellung der Großmutter einer mütterlichen Familie zum Vormund. 33 Karlines Versuch, die mittlerweile zehnjährige Agnes durch das traditionelle Rechtsinstitut einer sogenannten»nachfolgenden Ehe« 34 mit ihrer Globsower Bekanntschaft doch noch zu legitimieren, fällt mit diesen familienrechtlichen Vorgaben zusammen. Gerade weil das neue BGB den unzulänglichen Status der Illegitimen grundsätzlich kaum zu verbessern gewillt war, musste der Staat in dieser drängenden ›sozialen Frage‹ Handlungsfähigkeit demonstrieren. Von Rechts wegen muss Karline befürchten, nicht mehr ihre Großmutter als Verwahrerin für Agnes in Anspruch nehmen zu können, zumal der archaisch wirkenden Buschen ein zwielichtiger Ruf vorauseilt. So erinnert sich im letzten Teil des Romans der unter schwerer Herzinsuffizienz leidende Dubslav an die Begegnung am See und an die Gerüchte über das heilkundliche Wissen der durch die Wälder ziehenden Alten. Er berät sich darüber mit seinem Diener Engelke, der ihm die Sicht der einfachen Leute vermittelt: »Ja, die Buschen, die weiß Bescheid. Versteht sich. Man bloß, daß sie ´ne richtige alte Hexe is, und um Walpurgis weiß keiner, wo sie is. Und die Mächens gehen Sonnabends auch immer hin, wenn´s schummert, und Uncke hat auch schon welche notiert und beim Landrath Anzeige gemacht. Aber sie streiten alle Stein und Bein; und ein paar haben auch schon geschworen, sie wüßten von gar nichts.«(38/396)
Heft
(2022) 114
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