von Anfang an zum Scheitern verurteilte. Heyse glaubte, wer grundsätzlich imstande sei, historische Balladen zu schreiben, könne ebensogut bayerische wie preußische Historie zum Stoff wählen, und er bedachte nicht, daß es dazu einer Vertrautheit sowohl mit bayerischer Geschichte wie bayerischer Gegenwart bedurft hätte, über die Fontane, wie er selbst zugab, 30 nicht verfügte. Doch seine Erkenntnis, im Grunde nach Preußen, nach Berlin zu gehören, und die daraus resultierende Sehnsucht nach der märkischen Heimat nähren sich nicht nur aus den großen kulturellen und historischen Zusammenhängen. Die freudlose Stimmung, unter der Fontane in München leidet, gründet zu einem Teil sicher auch in purem Heimweh nach Frau und Kindern. So bemerkt Fontane in einem undatierten, wahrscheinlich am 8. März 1859 geschriebenen Brief an Emilie: „Wir machten heut in etwas stürmischem Wetter eine Land- parthie die ganz nett war, nur hab ich doch keine rechte Ruhe und wäre lieber mit Dir bei der alten Perlewitz'en." 37 Man sollte nicht vergessen, daß Fontane erst am 17. Januar 1859 von einem vierjährigen Aufenthalt in London zurückgekehrt war und nur fünf Wochen später schon wieder alleine nach München aufbrach — immerhin als Stellungssuchender mit Existenzsorgen, die trotz aller Selbstaufmunterung, von der seine Briefe an Emilie zeugen, nicht leicht zu verdrängen waren. Nimmt man all diese Umstände zusammen, müßte man sich wundern, wenn er mit Freuden länger in München verweilt hätte.
Ich halte es für müßig, darüber zu spekulieren, was aus Fontane geworden wäre, wenn er München zu seiner Wahlheimat gemacht hätte. Denn wenn auch die Wahrscheinlichkeit groß ist, daß er heute ein ebenso vergessener Poet wäre wie Lingg oder Leuthold, daß er ebenso belächelt würde wie Heyse oder Geibel, so ist doch ebenso denkbar, daß er auch in München den Stoff für große Gesellschaftsromane gefunden und dazu beigetragen hätte, daß man sich des Münchner Dichterkreises mit größerer Achtung erinnert, als es weithin der Fall ist. Eine unwichtige Episode sind die vier Münchner Wochen im Leben Fontanes in keinem Fall gewesen. Ihre Bedeutung für die Klärung der eigenen literarischen wie gesellschaftlichen Position sollte man ebensowenig unterschätzen, wie Fontane sie unterschätzt hat. In einem Brief an Heyse vom 28. Juni 1860 spricht er aus, was ihm durch die Reise nach München und die Begegnung mit dem literarischen und kulturellen Leben dort erst zum Bewußtsein gekommen ist:
Eine Übersiedlung nach München [. . .] liegt nicht mehr innerhalb meiner Wünsche. So vieles mir dort gefallen hat, so sehr fühl ich doch, daß es auf die Dauer kein Boden für mich wäre. Glänzende Aussichten (d. h. viel Geld) würden natürlich meine Sprödigkeit besiegen, aber wie käm' ich zu „glänzenden Aussichten", worauf sollten sie basieren? Ich weiß es selber nicht, wie sollten es andre wissen! Unter gewöhnlichen, bescheidnen Verhältnissen leb ich aber doch lieber hier als in irgendeiner andern deutschen Residenz, nur Wien könnte mich verführen, wenn es nicht gerade wiederum Wien wäre. Es ist mir im Laufe der Jahre, besonders seit meinem Aufenthalte in London, Bedürfnis geworden, an einem großen Mittelpunkte zu leben, in einem Zentrum, wo entscheidende Dinge geschehn. Wie man auch über Berlin spötteln mag, wie gern ich zugebe, daß es diesen Spott gelegentlich verdient, das Faktum ist doch schließlich nicht wegzuleugnen, daß das, was hier geschieht und nicht geschieht, direkt eingreift in die großen Weltbegebenheiten. Es ist mir Bedürfnis geworden, ein solches Schwungrad in nächster Nähe sausen zu hören, auf die Gefahr hin, daß es gelegentlich zu dem bekannten Mühlrad wird. 38