nen des Mitteldeutschen Verlages zur Literatur- und Kritikentwicklung von 1890 bis 1945 und die von Peter Goldammer in der von Kurt Batt begründeten Reihe «Deutschsprachige Literatur in Längsschnitten" herausgegebenen „Literarischen Porträts von Goethe bis Fontane" und „von Carl Spitteier bis Klaus Mann" stehen objektiv in Mayer-Nachfolge.
In den engeren Umkreis der Nachwirkung der „Meisterwerke deutscher Literaturkritik" gehören auch die von Jürgen Israel ebenfalls bei Hinstorff in Rostock herausgebrachten beiden Längsschnitt-Bände „Im Urteil der Dichter. Literaturbetrachtungen von Opitz bis Lessing" und „Vom Wertmaß der Poesie. Literaturbetrachtungen von Goethe bis Fontane".
Der neue zweite Band enthält „Literaturbetrachtungen" von Matthias Claudius über Dramen Lessings bis zu Kritiken Theodor Fontanes über Stücke Gerhärt Hauptmanns und von Arno Holz und Johannes Schlaf.
Dankbar ist man z. B. für die Aufnahme folgender Kritiken: Varnhagen von Ense über den dritten Teil von „Dichtung und Wahrheit", Clemens Brentano über „Die Braut von Messina", Karl Gutzkow über „Dantons Tod", Levin Schücking über Stifters „Studien". Man staunt, wie klar bereits Gutzkow die besondere Begebenheitsund Situationsdramaturgie Büchners erkannte oder wie differenziert Brentano „Die Braut von Messina" unter rhetorisch-darstellerischen Aspekten sieht.
Stellungnahmen werden nur zu zeitgenössischen Autoren mitgeteilt. Die chronologische Anordnung der Texte richtet sich nach der Entstehungszeit der rezensierten Objekte. So erscheint Fontane schon relativ früh mit Kritiken über „Des Meeres und der Liebe Wellen" und „Herodes und Mariamne", ehe der Hauptkomplex seiner Kritiken (über Raabe, Gerhart Hauptmann und Holz/Schlaf) mitgeteilt wird. Die Anmerkungen gehen den Beziehungen zwischen Rezensenten und Rezensierten nach und erhellen literaturgeschichtliche Konstellationen.
Was die Fontane-Auswahl betrifft, so erscheint nur die Aufnahme des Schlußkomplexes voll gerechtfertigt. Die Rezension über „Des Meeres und der Liebe Wellen" wirkt isoliert und nicht „haftend". Sie hat 1874 eigentlich nur Wert als Plädoyer für echte, erfüllte Innerlichkeit und damit als Opposition gegen die äußerliche Gründerpoesie. Die Hebbel-Rezension zeigt Fontane von der konservativen Seite. Der Kritiker sieht zwar den „Mischstück"-Charakter von „Herodes und Mariamne" zwischen antikem Milieu und moderner psychischer Problematik, für ihn ist aber 1874 die Wahrung des kulturgeschichtlichen Milieus das Entscheidende, noch nicht die frühe, Ibsen antizipierende Kritik an der verdinglichten Rolle der Frau, die er später in seinen besten Romanen selbst gestaltete, allerdings bei nahtloser Einheit von Umwelt und Problematik. Statt der Kritiken aus den 70er Jahren hätte man z. B. die für die Alltagsdarstellung wichtige und wegweisende Rezension über „Die Wildente" aufneh- men sollen.
Wodurch beeindrucken die am Ende des Bandes mitgeteilten Rezensionen Fontanes? In der Kritik über „Fabian und Sebastian" bekennt sich Fontane verständnisvoll zu Raabes „kleinem Stil": „Die grade Straße bietet selten das Schönste; was neben dem Wege liegt, ist meist hübscher als der direkte Weg". Er distanziert sich von zu subjektiver Figurensicht und angeblich zu zahlreichen Abschweifungen. An der berühmten Kritik über die Uraufführung von „Vor Sonnenaufgang" fiel mir diesmal zweierlei auf: einmal die Aufmerksamkeit des Theaterkritikers für den Ton einer Dichtung, namentlich einer balladesk strukturierten, zum anderen die Enttäuschung über die Unterschlagung der eigentlich neuen sozialepischen dramatischen Elemente durch die Inszenierung Otto Brahms. Das Urteil über „Die Weber' liest sich wie eine Vorwegnahme von Brechts Ansicht, Gerhart Hauptmann habe in diesem
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