Heft 
(1990) 50
Seite
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Theodor Fontane: Gedichte. 3 Bände. Hrsg, von Joachim Krueger u. Anita Golz. Berlin, Weimar: Aufbau-Verlag 1989. 687 S., 731 S., 711 S.

(Rez.: Karl Richter, Saarbrücken)

Die Fontane-Renaissance der zurückliegenden Jahrzehnte hat dem Lyriker Fontane eine vergleichsweise bescheidene Aufmerksamkeit gewidmet. Doch an dem editori- schen Fortschritt waren die Gedichte von Anfang an voll beteiligt. Als 1962 mit Band 20 der Fontane-Ausgabe der Nymphenburger Verlagshandlung dieBalladen und Gedichte" erschienen, konnten die Herausgeber des Bandes, Edgar Groß und Kurt Schreinert, den Anspruch einer neuen Vollständigkeit erheben (S. 717 f.). Als zwei Jahre später dieBalladen. Lieder. Sprüche" in Abteilung I, Bd. 6, der Fontane- Ausgabe des Carl Hanser-Verlags folgten, durfte ihr Herausgeber, Walter Keitel, stolz darauf sein, einen noch einmal erheblich erweiterten Textbestand zu bieten. Im Nachwort zur 2. Aufl. (1978) würdigt Helmuth Nürnberger, der Bearbeiter der Neuauflage, bereits die 1. Aufl. alsdie bisher umfangreichste Sammlung der Gedichte und Balladen Fontanes", die in der Neuauflage indessen noch einmal um etwa 60 weitere Gedichte vermehrt worden sei (S. 1293). Und immer reicher geworden waren von Etappe zu Etappe auch die Angaben im Kommentar. Doch die Materie schien nun nach so viel sorgfältiger editorischer und kommentatorischer Arbeit auch er­schöpft; viel Neues war, mindestens für die nähere Zukunft, kaum zu erwarten.

Der dreibändigen Ausgabe derGedichte", die 1989 als vierte Abteilung der Fontane- Ausgabe des Aufbau-Verlags erschienen ist, gelingt dieser unerwartete neuerliche Fortschritt. Schon der Vergleich der Seitenzahlen legt die Vermutung nahe, daß Erweiterungen geschehen sein müssen, im Textbereich wie im Kommentar. In der Nymphenburger Ausgabe waren den Gedichten 713 Seiten Text und 140 Seiten An­hang gewidmet, in der Neuauflage des Hanser-Verlags 937 Seiten Text und 359 Seiten Anhang. In der Ausgabe des Aufbau-Verlags beansprucht der Text insgesamt 1390 Seiten, während auf den Anhang 714 entfallen. Zu bedenken ist freilich bei diesem Vergleich, daß die Ausgabe des Aufbau-Verlags Text wie Kommentar in geringfügig größerer Type setzt als die anderen beiden Ausgaben; und nicht übersehen sei auch, daß der Bereich der dramatischen Arbeiten eine überproportionale Erweiterung erfahren hat, den alle genannten Editionen den Gedichtbänden zuschlagen. Ohnehin sind Seitenumfänge allein noch kein überzeugendes Kriterium für Qualität. Dennoch bestätigt sich der Eindruck einer beachtlichen Anreicherung, für den es quantitative Anhaltspunkte gibt, auch in der qualitativen Analyse.

Textbestand und Fragen der Anordnung

Außer einigen frühen Ausgaben einzelner Gedichtgruppen (Von der schönen Rosa- munde", 1850;Männer und Helden", 1850;Balladen", 1861) sind zu Lebzeiten Fontanes fünf Auflagen seiner Gedichte erschienen; 1851, 1875, 1889, 1892 und 1898. Von der zweiten Auflage an behielt Fontane durch alle weiteren Auflagen hindurch die Untergliederung inLieder und Sprüche",Bilder und Balladen",Gelegenheits- Gedichte" undLieder und Balladen, frei nach dem Englischen" bei. Manches wurde v on einer Ausgabe zur anderen wieder ausgeschieden, mehr noch kam jeweils neu hinzu. Der größte Teil dieses Neuen wurde unter dieLieder und Sprüche" ein­gereiht, so daß gerade diese Gruppe einen besonders hohen Anteil jener eigen­willigen späteren Lyrik aufweist, die zum Besten gehört, was wir aus der zweiten

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