Heft 
(1990) 50
Seite
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Hälfte des 19. Jahrhunderts an Lyrik haben. Auch wenn es sich bei diesen Gedicht­ausgaben um Sammlungen, nicht in einem strengen Sinn um Zyklen handelt, zeigt sich im Arrangement der Texte in thematischer wie formaler Hinsicht doch viel an kompositorischer Absicht. Die anfangs genannten Editionen haben sich gegenüber diesem Faktum unterschiedlich verhalten. Die Nymphenburger Ausgabe bringt zu­nächst geschlossen die 5. Auflage der Gedichte und fügt dann als weitere Abteilung die »Nachgelassenen Gedichte" an, deren Untergliederung an das Schema Fontanes angelehnt wird. Die Ausgabe des Hanser-Verlags bindet sich mit der gewählten Anordnung nicht an die 5. Auflage der Gedichte; sie gliedert den Textbestand nach Überschriften, die teils dem Verfahren Fontanes nahe bleiben (»Balladen, Lieder, Sprüche",Gelegenheitsgedichte"), teils nach Ordnungsgesichtspunkten des Heraus­gebers auffächern (Frühe Gedichte", »Versuche und Fragmente). Die Ausgabe des Aufbau-Verlags war zunächst als chronologische Ausgabe geplant; doch wurde diese Absicht aufgegeben, als sich zeigte, wie viel an bewußt von Fontane hergestelltem Zusammenhang damit zwangsläufig aufgegeben worden wäre. Man beschloß, die von Fontanebewußt komponierte Sammlung [. ..] zu respektieren" und die »letzte von Fontane erweiterte und korrigierte Auflage der ,Gedichte' an den Anfang unserer Ausgabe zu stellen" (Bd. 3, S. 707). Ergänzt wird sie in Band 1 der Ausgabe des Aufbau-Verlags um die Abteilung jener Gedichte, die Fontane aus den Gedicht­sammlungen ausgeschieden hat. Band 2 bringt drei weitere Gruppen von Texten; alle zu Lebzeiten Fontanes erfolgten Einzelpublikationen von Gedichten (besonders in Zeitungen und Zeitschriften), die von ihm nicht in die Gedichtausgaben aufgenom­men wurden; Gedichte in Prosatexten, nicht zuletzt in seinen Romanen; schließlich die Gedichte aus dem Nachlaß, die zu Lebzeiten des Dichters nicht publiziert worden sind, ergänzt um frühe Fassungen einiger gedruckter Gedichte. Band 3 bringt Gelegenheitsgedichte": Texte, die Fontane für bestimmte Gelegenheiten und den öffentlichen Vortrag geschrieben hat. Angefügt werden diesem Band noch Fontanes Übersetzungen desHamlet" und seine dramatischen FragmenteDer letzte Liepe- winkler" undKarl Stuart".

Man mag manches einwenden können. Mit denGedichten" Fontanes meint man zunächst doch das lyrische Werk und die Balladen. Die dramatischen Arbeiten gehören strenggenommen nicht hierher, will man den .Gedicht'-Begriff nicht überdehnen. Zwar hat Fontane selbst den ersten Akt seinesStuart"-Dramas in die Gedichte 1851 aufgenommen, doch später wieder ausgeschieden. Vorwiegend pragmatische Gründe die dramatischen Arbeiten füllen keinen eigenen Band sind wohl entscheidend mit dafür verantwortlich, daß die genannten Ausgaben die dramatischen Arbeiten den Gedichten zuschlagen. - Daß neben dieNachgelassenen Gedichte" eine Abteilung von »Gelegenheitsgedichten" gestellt wird, ist irreführend, wenn diese nicht ihrerseits als besonderer Teil der nachgelassenen Gedichte gekennzeichnet wird, denen sie offenkundig ja zugehört. Auf das Problem schließlich, die Ge­dichte, die für Prosatexte geschrieben wurden, aus ihrem ursprünglichen Kontext herauszulösen, weisen die Herausgeber selbst hin; sie versuchen es zu mildern, indem sie den Prosakontext wenigstens mit einigen zitierten Sätzen andeuten. Aber ein einigermaßen befriedigender Weg ist auch das nicht. Das Gedicht der Frau Jenny Treibel zum Beispiel ist so sehr aus ihrem Bewußtsein heraus konzipiert, daß es in einer Sammlung von Fontane-Gedichten eigentümlich fremd anmutet. Hier wird im Bemühen um letzte Vollständigkeit zugleich vereinfacht. Ich hätte auf diese Abteilung am leichtesten verzichten können oder mich mit einer bloßen Auflistung der Fälle, die einem das Aufsuchen des originalen Kontexts nicht abgenommen hätte, zufrieden gegeben.

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