Heft 
(1990) 50
Seite
149
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Die zeitgenössischen Rezensenten, die den Roman weithin positiv aufnahmen, gaben zunächst Fontane recht. Wenig später jedoch setzte sich das Urteil jenerandern Leser" und Kritiker durch, die vor allem Glaubwürdigkeit und Gelingen der Gestal­tung von Schauplatz, Motivierung und Erzählstruktur in Zweifel zogen undGraf Petöfy" schließlich in die Kategorie derNebenwerke" einordneten, die als eine wenig gelungene Vorstufe zu den späteren großen Gesellschaftsromanen anzusehen seien. Diese Einschätzung hat die Rezeption des Romans in der Forschung nachhaltig geprägt, so daß er lange Zeit als nicht eben lohnender und reizvoller Gegenstand differenzierter Interpretation angesehen wurde. Die ersten überzeugendenRehabi­litierungsversuche" des vielgescholtenen Werkes sind erst knapp zwanzig Jahre alt; allmählich beginnt Fontanes dezidierte Selbstverteidigungdoch durchzudringen'. Literaturwissenschaftliche Forschung und das Interesse einer breitgestreuten Leser­schaft sind allerdings zweierlei, und ein Blick auf den heutigen Buchmarkt verdeut­licht, daßGraf Petöfy" dort durchaus noch in der Schublade der Nebenwerke steckengeblieben ist. Natürlich ist der Roman im Rahmen mehrerer guter Werk­ausgaben greifbar; Einzelausgaben aber, die einen zuverlässigen Text bieten, die Lektüre mit sachkundigen Erläuterungen und Interpretationshinweisen begleiten u n d zu einem erschwinglichen Preis zu haben sind, sind rar. In welchem Maße ein literarisches Werk im Bewußtsein des Lesers präsent ist und sein Interesse weckt, hängt zu einem erheblichen Teil von der Zugänglichkeit des Buches ab, eben von seiner editorischen Präsenz. So ist es denn erfreulich, daß der Stuttgarter Reclam- Verlag seinen bislang vorliegenden guten und handlichen Ausgaben der erzählenden Werke Fontanes nun auchGraf Petöfy" hinzufügt.

Der Text dieser von Lieselotte Voss besorgten Edition folgt der 2. revidierten Auf­lage der Hanser-Ausgabe. Die Anmerkungen enthalten, neben den unerläßlichen Wort- und Sacherklärungen, knappe, aber meist zufriedenstellende Erläuterungen zu den literarischen, historisch-politischen und zeitgenössisch-gesellschaftlichen Hin­tergründen jener Anspielungen, die für Fontanes Erzählkunst nicht bloß in einem oberflächlichen Sinne charakteristisch sind, sondern das Eigentliche seiner Kompo­sition und erzählerischen Gestaltung überhaupt erst mit konstituieren.

Dieses komplexe und subtile Verfahren,Präzedenzfälle", Vergleichsmuster und Spiegelungen als latente Korrelative auf der Ebene einer doppelten Fiktionalität in die Handlungsstruktur und Figurendarstellung zu integrieren, steht denn auch im Mittelpunkt des Deutungsansatzes, den L. Voss in ihrem Nachwort darlegt. Dieser beruft sich auf die von den Überlegungen der neueren Forschung vorbereitete These,daß der Mangel an Lebensunmittelbarkeit, der dem Werk immer wieder zum Vorwurf gemacht wurde, nicht auf Schwäche der Gestaltungskraft des Autors zurückzuführen ist, sondern ganz im Gegenteil eigentlicher Gegenstand des Romans ist' (S. 220). In einem Gespräch über Realismus im Drama und im Roman, das im 7. Kapitel geführt wird, läßt der Erzähler seine Romanfigur Graf Petöfy den auch für sie geltenden Leitsatz formulieren:... als letztes Resultat haben wir dann auch selbstverständlich ein mit Theater gesättigtes Leben und ein mit Leben gesättigtes Theater" (S. 55). Ist diese Aussage an dieser Stelle schon mehrdeutig, so erweist sich ihre ganze Komplexität in einer genauen Betrachtung der erzählerischen Bezüge und Intentionen des Romans:ein mit Theater gesättigtes Leben" entfaltet sich nicht nur als Medium und Thema des Erzählten, sondern auch als eigentlicher Gegenstand und zugrundeliegendes Gestaltungsprinzip des Erzählens selbst. Auf diese Weise bestimmt die Mittelbarkeit, Vermitteltheit und Rollenhaftigkeit die (Er) Lebensweise der Romanfiguren, die Vermittlungsweise des Erzählers und, als immanentes Leit-