Motiv, die Perspektive des Lesers. L. Voss sucht zu verdeutlichen, daß diese Verschränkung von Realität und Literatur nicht nur den Handlungsrahmen betrifft (S. 225 ff.); daß vielmehr die „Struktur des Romans selbst . .. vor allem von der Verwendung des Zitats geprägt ist" (S. 229) — also von einer Aussageform der Mittelbarkeit. Dies bezieht sie auf Zitate, vor allem lyrische Zitate im engeren Sinne — es sei nur erinnert an die Bedeutung der Gedichte Lenaus und Chamissos wie auch der Barcsai-Ballade —, welche die für den Roman zentralen Motive (Sehnsucht, Einsamkeit, Untreue) einführen und variieren, besonders aber auf jene umfassenden Rollenzitate, die an der Oberfläche des Romans gleichsam nur ihr Stichwort zu hinterlassen scheinen, deren Implikationen sich aber erst in dem Geflecht vielfältiger Beziehungen und Spiegelungen ausmachen lassen. Sein und Bewußtsein der beiden Hauptfiguren lassen sich danach vorrangig aus diesen Rollenzitaten erschließen: Graf Petöfy, der sich literarische Muster für seine Lebensrolle(n) sucht, die Vor- Bilder aber schließlich als unzureichend und unangemessen verwerfen muß (S. 233 f.), vor allem aber Franziska, die Schauspielerin, die ihr Rollenspiel nun in der Ehe nach bestimmten Regeln, die in den Besonderheiten des Ehekontrakts angelegt sind, fortsetzt, und der die Ausfüllung dieser Rollen durch Petöfys Definition zugewiesen wird: „Franziska ist nicht Gräfin Petöfy geworden um ihrer Person willen, sondern zur Erfüllung ihrer Erzähl- und Unterhaltungsfunktion" (S. 232). Das Rollenspiel und das geistreiche Plaudern, bis dahin freiwillig und spontan Geleistetes, wird nun zum Vertragsgegenstand und damit als ein die Persönlichkeit bestimmendes Merkmal festgelegt. In seinem selbstkritischen Rückblick erkennt Petöfy, daß er in Franziska die idealisierte Rollenverknüpfung von Scheherezade und heiliger Elisabeth suchte (S. 183), und L. Voss erblickt darin die Verbindung „verschiedene(r) Arten der Identitätsverhinderung und des Opfers" (S. 232). Dies scheint eine naheliegende und überzeugende Konsequenz der Argumentation; zu fragen ist allerdings, ob nicht — der scheinbaren Paradoxie zum Trotz — Scheherezade und Elisabeth gerade in den Bedingungen und Situationen ihrer scheinbar durch Selbstverleugnung bestimmten Existenz ihre wahre Identität realisieren. Ähnliches gilt für Franziska: Sie gelangt gerade durch den Rollen-Realitäts-Konflikt, der sie die Unausgefülltheit und Uneigentlichkeit ihrer Existenz erkennen läßt, zu kritischem Selbstbewußtsein und zur Neubestimmung ihrer Identität. Damit sind die Widersprüche und Unstimmigkeiten, die L. Voss in der Motivierung und Psychologie der Frauenfigur erblickt, nicht aufgehoben; doch sollte hier in Erwägung gezogen werden, inwieweit diese Widersprüche als der Psychologie der Figurencharakterisierung immanent anzusehen sind, in diesem Zusammenhang also durchaus auch ihre Funktion haben (und daß die aufgeführten „Inkonsequenzen", S. 235 f., auch aus anderen Gründen keine sind). Und schließlich: in welchem Maße werden die jeweils angenommenen Rollen von den Figuren auch tatsächlich ausgefüllt, also als Identitätsbestimmung verstanden?
Den zweiten Schwerpunkt bildet die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Frauengestalt Franziska, die L. Voss mit einem vergleichenden Blick auf andere Frauen in Fontanes Romanen — Effi Briest, Cecile, Mathilde Möhring — zu beantworten sucht. Die Widersprüchlichkeit der Charakterisierung Franziskas gründe darin, daß Fontane in dieser Gestalt zu viele und sich gegenseitig widersprechende Ansätze vereinigt habe (S. 239), Ansätze, die in späteren Frauengestalten selbständiger und differenzierter ausgeführt worden seien. Betrachtet man die hier angestellten Vergleiche als allgemeine Hinweise auf einige Merkmale der Frauengestalten bei Fontane, können sie hier und da durchaus anregend sein; sollen sie aber dem genaueren Verständnis der Konzeption dieser individuellen Figuren dienen, müssen sie unbefriedigend bleiben. Berührt die Beschreibung der hier angeführten „freilich bemerkens-
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