arg verfemten Gebiet der politischen Dichtung angehören?" 18 Dem Tunnel konnte dies umso weniger entgehen, als sein Programm an den französischen Revolutionsliedern mit ihren politischen Inhalten und ihrem politischen Pathos nicht vorbeikam. Beim Stiftungsfest gelangte sogar die erste Strophe des aufreizenden, vielverhaßten „Ca ira!" zum Vortrag, wenn auch in der gemilderten Fassung, unverdeutscht und ohne im Protokoll erwähnt zu werden. 19 Doch vor allem hatte die Marseillaise in den Auseinandersetzungen um ihre Institutionalisierung und Wiederabschaffung eine andauernde Politisierung erfahren. Man wußte, daß sie unter Napoleon und den Bourbonen verboten gewesen war und seit der Julirevolution wieder in hohem Ansehen stand, und man wird im Tunnel auch gewußt haben, daß das alte und populäre „Vive Henri IV." während der Restaurationszeit die Marseillaise verdrängen sollte. 20 Es wurde im Festprogramm unter den französischen Nationalliedern deutlich hervorgehoben. Der französische Programmteil war der bei weitem am stärksten ausgearbeitete; die revolutionären Lieder wurden in einen die Jahrhunderte umspannenden historisch-allegorisierenden Bilderbogen eingebettet, der sie konterkarierte und dem richtigen, das heißt monarchistischen Glauben wieder voll zu seinem Recht verhalf. Denn der Tunnel ließ sich durch sein Eingehen auf das politische Moment der Nationallieder keineswegs in seinem Bekenntnis zu dem affirmativen Patriotismus beirren, den Prutz an den deutschen Hymnen ironisierte: „Die Ausdauer, mit welcher dieser officielle und erlaubte Patriotismus in seinen poetischen Offenbarungen immer nur eine, und zwar eine bestimmte und höchst beschränkte Seite der politischen Existenz hervorkehrt, die Virtuosität, mit der er den Dingen, das heißt dem Staat, ausschließlich die Personen unterschiebt, die denselben bei uns bilden und vertreten, sowie die Unschädlichkeit, zu welcher er die energischen Potenzen des politischen Gedichts, die großen Ideen der Freiheit, des Vaterlandes und der Aufopferung für dasselbe, in abstracter Allgemeinheit homöopathisch verdünnt, erscheint auch uns bewundernswerth und, mit Rücksicht auf die praktische Nutzbarkeit dieser Lieder, sogar achtbar." 21 Prutz spielt auf den Umstand an, daß in den Partikularstaaten des Deut sehen Bundes, soweit sie über ein solches Lied verfügten, die Spezies der monarchischen, der Fürstenhymne gepflegt wurde, deren Verbreitung auf die gegenrevolutionären Bestrebungen nach 1789 zurückging. 22 In diese Hymnen, die seit 1797 von dem österreichischen „Gott erhalte Franz den Kaiser" angeführt wurden, konnte auch der königstreuste und gesinnungstüchtigste Tunnelgefährte einstimmen.
Schwer getan hat man sich bei der Zusammenstellung des Programms ausgerechnet mit Preußen. Daß der Verein damit besonders skrupulös verfuhr, i st begreiflich. Außerdem befand sich hierzulande der Prozeß der Institutionalisierung, der aus einem Nationallied erst die Nationalhymne machte, noch in einem früheren Stadium als bei den anderen europäischen Großmächten. I nl Preußen hatte sich - anders als in Österreich, wo Haydns an Franz II. adressierte Kaiserhymne konkurrenzlos war - der Wettbewerb um die öffentliche Akzeptanz, die stattliche Sanktionierung und die individuelle Identifizierung mi t Text und Melodie noch nicht entschieden. Aber daß am Ende im Englische n
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