einen bescheidenen, lange entbehrten Wohlstand verdankte. Er wetterte zwar privatim gegen die „Dümmlinge", 4 die seine Poesie herausposaunten, als diente sie der preußisch-patriotischen Sache allein. Er verzichtete jedoch auf die Donquichotterie einer Berichtigung. Der arme Poet zeigte sich vernünftig und unterlag dem praktisch denkenden Bürger. Der idealistische Sonderling verkaufte seine Seele für einige Louisdors und die Aussicht auf eine Sinekure. Der Fall Scherenberg bot dem realistischen Dichter Fontane einen ausgezeichneten Romanstoff. Er begnügte sich aber schließlich damit, ihn als einen Beitrag zur Geschichte des literarischen Berlin zu behandeln. Diese Studie ermöglichte die Konfrontation eines romantischen Klischees mit der Wirklichkeit einer Dichterexistenz im Preußen des 19. Jahrhunderts. Mittelmäßigkeit, der große, unerschöpfliche Gegenstand des modernen Realismus, wird in Fontanes Scherenberg- Buch getreuer und zuverlässiger dokumentiert als in jedem realistischen Roman.
Scherenbergs Poesie war in jeder Hinsicht ein Sonderfall. Sie zeigte einerseits die Hauptmerkmale patriotischer Dichtung: vaterländisches Sujet und holprige Form,- fremd und neu waren andererseits die epische Ambition, das Streben nach Erhabenheit und Pathos. In Scherenbergs Kielwasser entwickelte sich im Tunnel eine Dichtung, die eindeutig an die Tradition des „Preußenliedes' anknüpfte, einer Gattung, deren Vaterschaft nicht nur auf die Berliner Dichter des 19. Jahrhunderts zurückzuführen ist, die Ernst Köhler in seiner Tunnelstudie anführt: August Kopisch, Willibald Alexis, Julius Minding. Das Preußenlied entstammt älterer Volkstradition. Man findet es in den zahlreichen Eingaben, Gelegenheits- oder Huldigungsgedichten, die treuherzige Untertanen der Restaurationszeit aus allen Nestern der preußischen Provinz an ihre Herrscher und an die Mitglieder des Königshauses schickten. 6 Seit den Befreiungskriegen gehören auch naive, volksliedhafte Porträts preußischer Herrscher und Heerführer, Soldatenanekdoten oder historische Miniaturen zu den Themen, die patriotische Dilettanten gerne behandeln. Die Neuruppiner Bilderbogen illustrieren ebenfalls diese Tradition in Schrift und Bild seit dem Anfang des Jahrhunderts.
Das im Tunnel seit der Mitte der vierziger Jahre kultivierte Preußenlied bemüht sich, seinem volkstümlichen Modell in allen Punkten treu zu bleiben. Es ist betont einfach und mehr oder weniger gewollt ungeschickt und ungehobelt. Sein Gegenstand ist von eindringlicher Monotonie; es besingt preußisches Heldentum in Friedens- und Kriegszeiten beim Bauern, Bürger, Edelmann, im Volk un d im Königshaus, bei gemeinen Soldaten und ruhmreichen Feldherrn. Seine Botschaft ist unüberhörbar: Ein organisches Band bindet Fürsten und Unteren, Fußvolk und General. Die Eintracht der Stände liegt in allgemeiner Anerkennung derselben Tugenden: Glaube, Treue, Bescheidenheit, in der allgemeinen Einhaltung derselben Lebensregeln: jedem das Seine, mehr Sein als Schein, nicht faseln, sondern handeln. Die grundsätzliche Kunstlosigkeit des Preußen- liedes ist die erste sichtbare Frucht dieser Tugenden. Ein preußischer Dichter e r hebt keinen Anspruch auf Schöngeistigkeit. Intellektuelle Genügsamkeit ist el iln e Haltung, die er nicht nur empfiehlt, sondern auch am eigenen Beispie
demonstriert.
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